Broschürenkritik „Die islamische Rechte in Deutschland“ von der „Basisgruppe Recherche Ost“

Die im Januar 2023 erschienene Broschüre „Die islamische Rechte in Deutschland“ betritt Neuland, indem sie eine Kritik desjenigen Phänomens versucht, welches in ihr als „islamische Rechte“ bezeichnet wird.
Da es „bisher nur ideologiekritische Analyse[n] und kaum Recherche mit der islamistischen Rechten“ gegeben hätte, war es den Autor*innen „ein besonderes Anliegen über die theoretischen Erwägungen hinaus eine akteursbezogene Recherche der islamistischen Rechten und ihrer Netzwerke in Deutschland vorzulegen.“ (Seite 6) Es ist unzweifelhaft ein Drahtseilakt. Einerseits sollte es aus linker emanzipatorischer Perspektive eine Kritik an den weit verzweigten Strukturen der islamischen Rechten in der Bundesrepublik geben. Andererseits will man auch keine rassistischen Narrative der deutschnationalen extremen Rechten verstärken, die jeden Muslim oder Menschen aus mehrheits-muslimischen Ländern unter Generalverdacht stellen. Das gelingt dem Autor*innen-Kollektiv „Basisgruppe Recherche Ost“ ( BAREO ) ganz gut.
Zur Erstellung der Broschüre haben sie mehrere Leitfragen gestellt:

Mit der islamischen Rechten wird in der Broschüre eine Gruppe bezeichnet, die nicht nur die türkischen „Grauen Wölfe“ oder jihadistische IslamistInnen umfasst, sondern auch größere Teile der Organisationen, die oft als ‚konservativ‘ verharmlost werden.
Tatsächlich haben die Autor*innen Recht, wenn sie diese Verharmlosung kritisieren, denn die islamische Rechte hat eine politische reaktionäre und rechte Agenda und ist nicht einfach ’nur konservativ‘.

Legalistischer Islamismus in Deutschland
Die islamische Rechte übt sich in Selbstverharmlosung: „Ähnlich der deutschnationalen Rechten wie der AfD, bemühen sich die FunktionärInnen der islamistischen Rechten um eine formelle Anpassung an die gegebenen politischen Strukturen und eine Selbstinszenierung als Teil der »demokratischen Öffentlichkeit«.“ (Seite 7)
Dazu geben sich viele islamische Rechte nach außen liberal, während sie nach innen reaktionär und rechts sind. Die Autor*innen nennen das den ‚legalistischen Islamismus‘:
„Diese reaktionäre Ideologie versteckt die islamistische Rechte in der breiteren Öffentlichkeit hinter der liberalen Fassade des legalistischen Islamismus.“ (Seite 14)
Dieser Variante des Islamismus ist weitaus einflussreicher als der jihadistische Islamismus. Laut der Broschüre stehen 1,5 Millionen der 4-5,5 Millionen Muslime und Muslimas in Deutschland unter dem Einfluss des legalistischen Islamismus.
Besonders wichtig sind die AKP-nahe DİTİB – die deutsche Dependenz der türkischen Religionsbehörde Diyanet – und die Millî Görüş-Bewegung (IGMG), die beide dem türkischen Staatsislamismus nahe stehen. Zur DİTİB heißt es in der Broschüre:
„Die DİTİB verfügt heute verschiedenen Schätzungen zufolge über etwa 800.000 Mitglieder und ein Umfeld von etwa 200.000 weiteren Personen. Mit einer Anhängerschaft von bis zu einer Million Personen und rund 900 Mitgliedsvereinen ist sie damit der bei weitem größte islamische Dachverband Deutschlands.“ (Seite 22)

Eine weitere wichtige Organisation im Netzwerk der islamischen Rechten ist der „Zentralrat der Muslime in Deutschland“ (ZMD), der der Muslimbruderschaft zugerechnet wird: „Der ZMD kann als eines der einflussreichsten Instrumente der Muslimbruderschaft in Deutschland angesehen werden. Seine FunktionärInnen gehören zu den gern gesehenen GesprächspartnerInnen in Politik, Medien und zivilgesellschaftlichen Initiativen, insbesondere zu den Themen Islam, Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus“ (Seite 19)

DİTİB, IGMG, ZMD und Islamrat kooperieren miteinander und verfolgen eine ähnliche Strategie zur Einflussnahme in der deutschen Gesellschaft. Dabei sind sie zum Teil sehr erfolgreich. Beispielsweise ist in Berlin die „Islamische Föderation“, der Berliner Dachverband der IGMG, maßgeblich für den Islamunterricht verantwortlich.

Islamische Rechte gegen antimuslimischen Rassismus
Besonders erfolgreich sind islamische Rechte bei der Aneignung und Bearbeitung des Themas antimuslimischer Rassismus. Die Autor*innen bezeichnen dieses Engagement als ‚instrumentellen Antirassismus‘. In der Broschüre heißt es dazu: „»Antimuslimischer Rassismus« und die nahezu synonym genutzten Begriffe »Islamophobie«, »Islam- und Muslimfeindlichkeit« werden zu diskursiven Waffen, mit denen KritikerInnen der eigenen politischen Positionen leicht zu diskreditieren sind.
VertreterInnen der islamistischen Rechten treten im kulturalistisch aufgeladen Diskurs als MuslimInnen schlechthin auf. Ihre politischen Positionen erscheinen auf diese Weise selbst als religiöse und kulturelle Eigenschaften von MuslimInnen, ihr Charakter einer politischen Ideologie wird unsichtbar und unhinterfragbar.“
(Seite 46)

Die Aneignung des Themas dient auch der Kritik-Abwehr, denn einige AkteurInnen diffamieren bereits die kritische Auseinandersetzung mit dem Islamismus als grundsätzlich islamophob.
Eine wichtige Roll spielt die Organisation „CLAIM — Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit“, laut der Broschüre ein „zentrale[r] Knotenpunkt im Netzwerk des rechtsislamistischen Antirassismus in Deutschland.“ (Seite 50) Nachgewiesen wird zumindest die Beteiligung rechtsislamischer oder rechtsislamisch verstrickter AkteurInnen. CLAIM wird gefördert durch das Programm „Demokratie leben!“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und unterstützt durch kirchliche Initiativen, die Arbeiterwohlfahrt und antirassistischen Vereinigungen wie „Gesicht Zeigen!“. Sicherlich gut gemeint, aber CLAIM ist laut der Broschüre maßgeblich aus dem Berliner Verein „Inssan“ hervorgegangen, der „aus dem Aktionsgeflecht der Muslimbruderschaft“ (Seite 51) stammt.

Ein anderes Beispiel wäre die Monitoringstelle #brandeilig, die von der IGMG-Organisation FAIR betrieben wird und Angriffe auf Moscheen erfasst. In ihrem Monitoring werden aber auch Vorfälle, bei denen von linken oder kurdischen Aktivist*innen islamistische oder türkisch-nationalistische Moscheen besprüht wurden, als Ausdruck einer Islam-Feindlichkeit eingeordnet. Obwohl die Moscheen in diesen Fällen ganz offensichtlich nicht als religiöse Gebäude sondern als politische Stützpunkte ausgewählt wurden.
„Die Hintergründe von Angriffen auf Moscheen ordnet #brandeilig grundsätzlich Formen der Islamfeindlichkeit und des antimuslimischen Rassismus zu.“ (Seite 53)

Der islamischen Rechten schaffte es sogar in staatliche Gremien hinein zu gelangen:
„Die Besetzung staatlicher Gremien, wie etwa des Unabhängigen Expert*innenkreises Muslimfeindlichkeit, zeigt, wie sich die islamistische Rechte durch eine geschickte Kombination von zivilgesellschaftlicher Netzwerkarbeit und einer Integration in den Staat zunehmend erfolgreich gesellschaftlichen Einfluss als Etappenziel sichert“ (Seite 56)

Manches mutet geradezu realsatirisch an. Etwa, wenn die Vorsitzende der „Deutschen Islam Akademie“ (DIA), Pinar Çetin, Anfang 2021 einen Antirassismus-Preis zurückgeben musste, weil sie den Völkermord an den Armenier*innen geleugnet hatte. Die DIA ist laut Broschüre eine „Schnittstelle zwischen DİTİB und dem Netzwerk der Muslimbruderschaft“ (Seite 55).

Ideologie-Kritik
Im zweiten Teil der Broschüre wird Ideologiekritik an den inhalten der islamischen Rechten geübt: „Im Folgenden entgegnen wir den essenzialistischen Fehldeutungen der islamistischen Rechten mit einer materialistischen Analyse und Kritik.“ (Seite 62)
Dazu wird auch die Geschichte der islamischen Rechten nachgezeichnet. Als Vorläufer der islamischen Rechten wird der islamische Modernismus präsentiert, der trotz des Namens im Kern ein Radikalkonservatismus war. Diesen Radikalkonservatismus erbte der Islamismus von den islamischen Modernisten.

Ein Kapitel widmet sich dem Thema „Die Islamistische Rechte und der Islamische Antisemitismus“. Darin heißt es: „Die Besonderheit des Antisemitismus der islamistischen Rechten gegenüber anderen Formen des Antisemitismus besteht in seiner Anreicherung mit spezifischen Elementen der islamischen Theologie.“ (Seite 73)
Für die Türkei wird auf den dort sehr stark verbreiteten ‚Dönme-Antisemitismus‘ eingegangen: „Der Dönme-Antisemitismus ist die wichtigste Erscheinungsform moderner Judenfeindschaft in der Türkei.“ (Seite 77)
Dabei werden mächtige Personen zu Krypto-Juden und -Jüdinnen umgedeutet, indem ihnen angedichtet wird, sie würden zu den Dönme gehören, einer Gruppe Juden und Jüdinnen die vor Jahrhunderten zum Islam konvertiert ist.

Ein weiteres Kapitel widmet sich dem Thema „Die Islamische Rechte und ihr antiliberaler Kapitalismus“ und stellt fest, dass trotz des traditionell-islamischen Zinsverbots islamische Rechte und Kapitalismus gut harmonieren.

Fazit: spannende Einblicke in das rechts-islamische Netzwerk
Die Broschüre hilft einem die Netzwerke der islamischen Rechten in Deutschland und ihre Strategien sowie ihre Ideologie nachzuvollziehen.
Besonders erschreckend ist ihr Einfluss durch ihren instrumentellen Antirassismus auf die Zivilgesellschaft und Politik. Vermutlich aus Unwissen und Naivität machen so viele mit. Die Broschüre hilft hier durch Aufklärung.
Es bleibt am Ende die Frage, welche Akteur*innen auf muslimischer Seite im Kampf gegen die unzweifelhaft sehr virulente Islam-Feindlichkeit von AfD und Co. noch übrig bleiben. Offenbar sind sich die rechts-islamischen Organisationen am besten organisiert, während zumindest im sunnitischen Islam in Deutschland liberale oder gar linke Kräfte sehr schlecht aufgestellt sind. Vielleicht wären Alevit*innen hier geeignete Bündnispartner.

Ein Manko ist, dass vermutlich keiner der Autor*innen einen arabischen oder türkischen Sprachzugang hatte. Damit fällt die Quellen-Recherche in diesen Bereichen leider aus.
Manchmal wären zum besseren Verständnis und Einordnung ein Vergleich zur christlichen Rechten hilfreich gewesen. Etwa wenn man die Muslimbruderschaft mit der Piusbruderschaft analogisiert hätte.

Basisgruppe Recherche Ost: Selbstverlag, Berlin 2023 Download: https://bareo.uber.space/media/site/2fac07514e-1692188434/die-islamistische-rechte-in-deutschland.pdf

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