Buchkritik „Proleten, Pöbel, Parasiten“ von Christian Baron

Das Buch „Proleten, Pöbel, Parasiten: Warum die Linken die Arbeiter verachten“ von Christian Baron erschien 2016. Dem Autor geht es in seinem Buch darum, wie die akademische Linke mit der Arbeiter*innenklasse und Deklassierten umgeht: „Wie und warum Linke dazu beitragen, dass der gesellschaftliche Klassenhass gegen materielle Arme und von bürgerlicher Bildung fern Gehaltene sich reproduziert, das will in diesem Buch zeigen.“ (Seite 12)
Der Autor ist selber Arbeiter-Kind und berichtet vom Aufwachsen in einer verschimmelten Wohnung mit einem gewalttätigen Vater. Ihm selber gelingt, auch durch die Unterstützung von Lehrern, der Aufstieg bzw. um es in seinen Worten wiederzugeben, der „Weg vom Unterschichtskind zum Soziologie-Doktoranden“ (Seite 63).
Er selber bezichtigt sich auch des ‚Klassenverrats“, weil er für diesen Aufstieg seine Herkunft verleugnen musste.
Der Autor wird Linker, allerdings ist sein Motiv ein anderes als sein akademisch-bürgerlichen Mitstreiter*innen, wie er zumindest glaubt: „Mein Linkssein ist in erster Linie biografisch bedingt und damit interessengeleitet – ganz im Gegensatz zu den meisten anderen Aktivisten, die ihr Opponieren gegen die herrschenden Zustände mit einer ethisch moralischen Empörung begründen.“ (Seite 48)
Möglicherweise sind aber mehr Menschen auch aus persönlichen Gründen links geworden, als Baron glaubt, etwa Frauen*, die linke Feministinnen wurden, und die das ebenfalls aus eigenen Erfahrungen heraus wurden. Viele Menschen kommen auch zur Linken, weil sie in dieser Gesellschaft irgendwie nicht ‚funktionieren‘ und ziemliche Außenseiter*innen sind.

Barons Buch behandelt also das Thema Klassismus von links und urteilt hart: „Meine linken Politikfreunde führten einen Klassenkampf gegen mich, ohne es überhaupt zu bemerken, denn sie kannten meine Lebenswelt nicht und begriffen ihre eigene Wirklichkeit als die einzig existente Normalität.“ (Seite 75)
Er sieht allerdings ganz allgemein einen Anstieg von Klassismus oder Klassenhass, verursacht durch die ökonomische Zuspitzung: „In Zeiten allseitiger Prekarität, in denen fast jeder binnen kurzer Zeit vom unbefristeten Job in die sichere Armut rutschen kann, richtet sich von allen Seiten ein massiver Klassenhass gegen jene, die noch schwächer sind als man selbst.“ (Seite 15)
Im Buch wird auch auf die sich fortsetzende Chancenungleichheit im Bildungssektor hingewiesen: „Statistisch gesehen bekommt das Kind eines Arztes oder Juristen fünfmal öfter eine Gymnasialempfehlung als ein Facharbeiterkind. Schüler aus gebildeten Elternhäusern legen siebenmal häufiger das Abitur an einem Gymnasium ab als Arbeiterkinder.“ (Seite 43)

Besonders in der ersten Hälfte seines Buches spricht Baron wichtige Punkte an, etwa wenn er über die klassistische Dialektfeindlichkeit in linksakademischen Kreisen schreibt. Oder das Studis als freiwillige kostenlose Praktikant*innen, getragen von der Unterstützung ihres Elternhauses, Anderen Konkurrenz machen, die es sich nicht leisten können kostenlose Praktika zu absolvieren.

Seine Kritik an einer Identitätspolitik jenseits von Klassenanalysen ist sicherlich richtig, allerdings fokussiert er an manchen Stellen stark auf die seltsamsten Auswüchse.

Spannend ist sein Verweis auf das folgenlose Unterschichtenbashing, auch in der Populärkultur. Etwa im Kassenschlager „Fack Ju Göhte“ oder in der ZDF Neo – Sitcom „Blockbustaz“. Oder in der Werbung der Biermarke „Astra“. Hier moniert Baron zu Recht dass die sexistischen Werbe-Plakate von Astra eine linke Gegenkampagne hervorgerufen hätte, man aber zum Unterschichtenbashing „kein Mucks“ aus dieser Ecke gehört habe.

Kritikritik
Das Buch wird in der zweiten Hälfte eine allgemeinpolitische Abrechnung. Diese ist in einigen Fällen nicht überzeugend. An dieser Stelle mal ein wenig Widerspruch zu seinen Pauschalverurteilungen:
* So verunglimpft er pauschal die Proteste gegen Studiengebühren als die Verteidigung bildungsbürgerlicher Privilegien. Das wird der Realität dieser Proteste oft nicht gerecht, auch wenn es mancherorts diese Tendenz sicherlich gab. Schon interessanter ist da sein Vorschlag einer Akademikersteuer.
* Er stellt die (akademische) Linke generell als Vertreter*innen einer protestantischen Leistungsethik dar. „Familie? Freunde? Kino? Theater? Sommerurlaub? Kinder? Für Linke in diesem Land der protestantischen Arbeitsethik sind das Fremdworte.“ (Seite 104)
Keine Ahnung, in welchen linken Kreisen Baron sich bewegt. Aber in der außerparlamentarischen Linken sind durchaus auch viel Drogen- und Party-Eskapismus anzutreffen und das Plenum am nächsten Tag ist dann umso spärlicher besetzt.
Hier wäre es wichtig nach dem Kontext von Arbeit zu schauen und zwischen Polit-, Erwerbs- und Care-Arbeit in der Bewertung zu trennen.
* Baron versteigt zu der seltsamen Analogie das Jungen-Beschneidung wie die Amputation eines Fingers wäre. Das ist Unsinn. Man mag das Thema kritisch sehen, aber eine Vorhaut-Beschneidung ist keine Glied-Amputation.
* Baron behauptet ebenfalls: „Leider hat die Linke die Religionskritik den Rechten hinterlassen.“ (Seite 135)
Sicherlich, lässt die Linke an einigen Stellen eine religionskritische Position vermissen, aber sie wird dabei nicht von rechter Seite ersetzt. Denn was von dieser Seite kommt, ist zumeist nur der mühsam bemäntelte kulturelle Rassismus.
* Der Autor übt auch Kritik an der linken Kritik an den nach rechts offenen Montagsdemo-Mahnwachen 2014/15 (Seite 125). In der klügeren Kritik von links an diesem Phänomen ging es jedoch weniger um die rechte Beteiligung an den rechts-offenen Demos als an den Inhalten, die diese Beteiligung erst hervor riefen.
* Ähnlich daneben liegt Baron mit seiner Kritik an der antinationalen Kritik des Fußball-Patriotismus zur Männer-WM/-EM geht. Die linke Kritik daran ist differenzierter als Baron es haben will. Es wurde vor allem der nationalistische Grundton und die Gefahr des nationalistischen Eskalation kritisiert. Er schreibt: „Eine WM oder EM im Fußball bietet also seit einigen Jahren nicht nur den Liebhabern des Sports angenehme Feierabende vor dem Fernseher, sondern liefert auch Beispiele des zentralen Problems zwischen den Linken und der Masse in Deutschland: Die kulturellen Differenzen bedingen Missverständnisse zwischen Akademikern und Nicht-Akademikern.“ (Seite 145)
Den Sexismus und die Homophobie der Männer-WM und -EM lässt Baron in diesem Buch-Abschnitt galant unter den Tisch fallen. Es hat einen Grund, warum sich im aktiven Profi-Fußball in Deutschland bisher kein einziger aktiver Spieler geoutet hat.
Was der Autor verkennt oder ignoriert ist das nationalistische Eskalations-Potenzial des Fußball-Patriotismus. Wer die deutsche Mannschaft nicht abfeuert, aber als Deutscher gilt, wird scheel angeschaut. Wenn dann die deutsche Mannschaft verliert und man sich darüber freut oder das andere Team angefeuert hat, für die oder den ist es schnell vorbei mit der Party.
Dabei ist der Fußball-Patriotismus zu WM- und EM-Zeiten auch gar keine Sache der Klassenzugehörigkeit. In den Universitätsstädten ist es bei den Studentenverbindungen genauso üblich die Spiele gemeinsam in der Verbindungsvilla anzuschauen wie in eher proletarischen Sport-Bars. Es ist eher so dass der Jubel-Patriotismus reale Klassenunterschiede verdeckt, weil ja alle Deutschland sind, egal ob Erwerbslose oder Manager.
* Er macht die Mittelschichts-Ultras verantwortlich für Probleme im Stadion, vergisst aber die meist eher proletarischen Hooligans zu erwähnen.
* Seine Kritik an Konsum-Moralist*innen ist sicherlich nicht unberechtigt, aber rutscht etwas arg ins Polemische ab, etwa, wenn er von einer Mitbewohnerin als „Bio-Diktatorin“ schreibt.
* Oft hat man den Eindruck Baron hat sich in seiner Wut gar nicht mehr die Mühe gemacht zu differenzieren. Etwa, wenn er die Praxis des „Containern“, d.h. der Bergung von abgelaufenen Lebensmittel als „Happening“ (Seite 200) bezeichnet, was nur der linken Identitätsstiftung gelte. Einige der linken Menschen, die containern, die ich kenne, machen das nicht aus Jux, sondern tatsächlich, weil sie nicht so viel Geld haben.
* Seine Kritik an Rucksackreisenden und Neominimalismus ist nicht weniger undifferenziert.
Persönlich kenne ich exakt zwei linke Minimalistinnen, die dieses Konzept auch nicht als gesellschaftliche Lösung oder eine Art Armuts-Reenactment verstehen, sondern als individuelle Lebensbewältigungsstrategie.

Fazit: zu pauschalisierend
Baron hat sicherlich in vielem Recht, aber er ist oft leider viel zu pauschal und polemisch. Man könnte auch statt von der angeblichen ‚Verachtung‘ der Linken für die Arbeiter*innenklasse eher von einer Ignoranz und Gedankenlosigkeit schreiben.
Besonders im zweiten Teil des Buches nerven die Pauschalisierungen und Schnellurteile. Schade, denn der Autor verbaut sich hier selbst, durch seine Undifferenziertheit die Möglichkeit von seinen Leser*innen in vielen Punkten ernst genommen zu werden. Mehr Kritik, statt Abrechnung wäre hier hilfreich gewesen. Denn was soll man von solche Sätzen halten? „Bessermenschen wirken dadurch [moralische Kritik] auf die Durchsetzungschancen einer Perspektive jenseits des Kapitalismus schädlicher als es Christian Lindner oder Donald Trump zusammengenommen jemals könnten.“ (Seite 167)

Am Ende seines Buchs plädiert Baron für einen linken Populismus ohne inhaltliche Verkürzungen, wie auch immer das funktionieren soll. Denn Populismus muss eigentlich mit Verkürzungen arbeiten. Sinnvoller wäre ein Plädoyer für eine verständlichere Sprache und eine solidarische Praxis gewesen. Wenn Linke mehr für Unter- und Arbeiter*innen-Schicht unterstützend intervenieren würden, z.B. bei Zwangsräumungen oder in Arbeitskämpfen, statt nur herumzutwittern, dann wäre schon mal viel gewonnen.

Das Buch „Die Elenden“ von Anne Mayr hat zwar einen anderen Schwerpunkt, aber eine ähnliche Perspektive. Wenn es einem eher um diese Perspektive geht, sollte man zuerst zu diesem Buch greifen.

Christian Baron: Proleten, Pöbel, Parasiten: Warum die Linken die Arbeiter verachten, 2016.

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