Das Buch „Krach“ von Tijan Sila ist 2021 erschienen. Es ist die coming-of-age-Geschichte eines Provinzpunks in den berüchtigten Baseballschläger-Jahren. Die Geschichte spielt im Jahr 1998, zu einer Zeit als Handys eine Seltenheit waren, es noch Videotheken gab und manche Gameboys durchsichtig waren. Handlungsort ist die fiktive Kleinstadt Calvusberg in der pfälzischen Provinz. Immer wieder streut der Autor Sätze in pfälzischen Dialekt ein. Wer nicht weiß, was ein „Tschukkekahler“ ist, wird es durch die Lektüre lernen.
Der Hauptprotagonist heißt Sabahudin, wird aber in seiner Familie „Budo“ und von seinen Freund*innen „Gansi“ genannt. Er stammt aus einer bosnischen Familie und ist dass, was man einen ‚Halbstarken‘ nennen könnte. Budo weiß nicht so recht, was er mit sich anfangen soll. Seine Eltern drücken ihm auch noch die Betreuung von Hikmet, eines traumatisierten bosnischen Flüchtling-Jungens aufs Auge – im Buch spielt der 1995 beendete Bosnien-Bürgerkrieg immer wieder eine gewisse Rolle.
Budo schließt sich einer Clique von Provinzpunks an. Mit dem schweigsamen Pirmin und den Geschwistern Beppo und Ursel gründet er die Punkband „PUR JUS“. In Ursel ist Budo verliert und Beppo ist sein bester Freund. Die beiden Punk-Geschwister haben einen Nazi-Bruder namens Uwe. Dessen Gewalttätigkeit spielt im Verlauf der Geschichte immer wieder eine Rolle. Im Buch werden mehrfach Prügeleien geschildert und das in einer saftigen Weise.
So heißt es über ein paar verhauene Gymnasiasten: „Gymnasiastengekreische, als gäbe es im Tengelmann keine Frucht-Tiger mehr.“
(Seite 54)
Oder die Schilderung einer Prügelei zwischen Mannheimer Linken und den Mitglied einer sport-affinen US-Straight-Edge-Hardcore-Band: „Die Mannheimer konnten froh darüber sein, dass die Amis trotz ihrer beeindruckenden Kampftüchtigkeit nicht blutrünstig waren und aufhörten zuzuschlagen, sobald sie ihren Freund in Sicherheit gebracht hatten. Wären sie nur ein wenig wie Uwe gewesen, hätten sie das Haus ausgeräumt, statt sich von ein paar Soziologiestudenten, deren Augen nach Nasentreffern voller Pipi waren, vorfaseln zu lassen, violent däncing wäre ein Ausdruck »androzentrischer Körperpolitik«, was auch immer das bedeutete.“
(Seite 78)
Viele Buch-Abschnitte handeln von den Band-Auftritten auswärts. Dabei beschreibt Sila in amüsanter Weise die Auftritts-Orte: „[…] kein Konzert, aber immerhin Essen und Räumlichkeiten, bei denen man nicht an verlassene Gefängnisse der Sowjetunion dachte.“
(Seite 46)
Besonders unterhaltsam sind die Stadt-Charakterisierungen, in denen auch über schmucke Städte wie Freiburg, Heidelberg oder Münster hergefallen wird.
„Freiburg war eins dieser unbombardierten Universitätsstädtchen, die nur von Studenten und Bonzen bevölkert wurden. Alles daran war zum Hassen, so auch das JUZ, in dem wir auftreten sollten. Es war eh cooler, in besetzten Häusern oder AZs zu spielen.“
(Seite 107)
„Manche Städte haben nette Ecken, Münster ist die zur Stadt gewordene nette Ecke – richtig ekelhaft. Dementsprechend war das AZ nicht die übliche Stunkdrüse mit braun verkrusteten Kloschüsseln, sondern ein vom Rathaus gestellter »Kulturraum« aus den Siebzigern: Ziegelwände, Balkendecken, Bühne, alles.“
(Seite 238)
Viele der Buch-Protagonist*innen haben eine Migrationsgeschichte oder entstammen einer Minderheit: Sinti, Russlanddeutsche, Bosniaken, Italiener und die als „Watkes“ geschmähten französischen Nachbarn.
Das Buch enthält schöne Sätze wie diese beiden:
„Pirmin war der Zuckerwürfel, den sie in geschlossener Hand vor Regen schützte.“
(Seite 185)
„Man roch den Erlebnisdrang wie heißen Pudding.“
(Seite 189)
Der Roman liest sich gut und flott. Es ist die authentische Geschichte vom Aufwachsen als Punk in der Provinz Ende der 1990er Jahre.
Sehr geeignet als Sommer-Lektüre. Auch für Menschen ohne Punk-Lebensabschnitt.
Tijan Sila: Krach, Köln 2021.