Buchkritik „Doppelte Spur“ von Ilija Trojanow

Ilija Trojanow beschreibt mittels einer fiktiven Geschichte in seinem Roman „Doppelte Spur“ die Realität.
Sein Hauptprotagonist und Alter Ego ist der Journalist Ilija. Dieser wird von einer Whistleblowerin kontaktiert, die sich „DeepFBI“ nennt. Sie gibt ihm eine Menge an digitalen Akten des FBI, die als „streng geheim“ klassifiziert sind. Gleichzeitig kontaktiert ein Agent des russischen Geheimdienst SWR Ilija und gibt ihm ebenfalls geheime Akten.
Erst allein und später zusammen mit zwei Mitstreitern schlägt Ilija eine Schneise der Aufklärung durch das Dickicht an Informationen.
Es entsteht ein Gesamtbild. Der als „Schiefer Turm“ bezeichnete US-Präsident ist ein vormaliger Casino-Betreiber mit Kontakten zur russischen Mafia, der erpressbar ist. Nicht gesteuert, aber angeleitet wird er vom russischen Präsidenten Mikhail Iwanowitsch und dessen Oligarchen-Freunden, die alle dem KGB entstammen. Laut dem Journalisten Ilija hat der KGB 600 Milliarden Dollar außer der zerbröckelnden UdSSR geschafft.
Sehr kundig beschreibt Trojanow die Raubzüge der Privatisierung in der Ex-Sowjetunion und die daraus resultiernde Oligarchisierung. Am Anfang stand dabei eine naive Hoffnung breiter Bevölkerungsschichten auf die Verheißungen des Kapitalismus:
„Die Aufbruchstimmung trug Wollmützen und löchrige Schuhe, die Kälte drang aus dem Permafrost der Vergangenheit in die Körper, der Kopf wurde mit Hoffnungen geheizt, die Gliedmaßen fröstelten.“ (Seite 64)
Doch bald stellt sich Ernüchterung ein. Es entspinnt sich ein weltweites kriminelles Netz, was zum teil in einem Turm des Präsidenten in Manhattan wohnt. Jedenfalls weist dieser laut FBI-Ermittlungen eine bemerkenswerte Dichte an Kriminellen und Korrupten auf.
Ilija zur Seite stehen der Podcaster und Sachbuchautor Boris und die Dokumentarfilmerin Emi, die zu dem Zwangs-Prostitutions-Netzwerk von Geoffrey Wasserstein recherchiert, der sich und Prominenten mit jungen und teilweise minderjährigen Frauen/Mädchen „versorgte“, also ihren Missbrauch organisiert.
Boris resümiert ernüchtert über die vermeintliche ‚Gleichheit vor dem Gesetz‘:
„Der Rechtsstaat ist ein Ansporn, möglichst viel zu stehlen, denn mit dem gestohlenen Geld kannst du dir die besten, also die am besten vernetzten Anwälte leisten, die jedes Schlupfloch kennen, , jede Verdunklungsstrategie. Je mehr du raffst, desto besser kannst du deine Pfründe verteidigen. Der Rechtsstaat ist ein Beuteverteidigungssystem.“ (Seite 99-100)
Im Gegensatz zu den realen Verschwörungen wird „Pizzagate“ im Buch als Nebelkerze des FBI beschrieben.
Ilija zeichnet mit den beiden Anderen ein weltweites System nach. Doch er will auch wissen, was die beiden Whistleblower für Motive haben, da er an deren Uneigennützigkeit stark zweifelt. Also versucht er den beiden auf die Spur zu kommen und kommt zu beunruhigenden Erkenntnissen.

Die Analogien dieser Roman-Fiktion zur Realität sind natürlich augenfällig. Es handelt sich sozusagen um eine ‚fiction light‘. Der US-Präsident mit dem Spitznamen „Schiefer Turm“ ist Donald Trump, Mikhail Iwanowitsch ist Wladimir Putin und Geoffrey Wasserstein ist Harvey Eppstein. Der Turm in Manhattan ist demzufolge der ‚Trump Tower‘.
Das Buch aktiviert die Neugierde was jetzt in Realität zutrifft und was nicht.
Ansonsten ist das flott und lesbar geschrieben.

Ilija Trojanow: Doppelte Spur, Frankfurt/Main Juli 2020.

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