
Fünf Jahre sind im Online-Zeitalter Jahrzehnte. Das 2020 erschienene Buch „Die rechte Mobilmachung. Wie radikale Netzaktivisten die Demokratie angreifen“ von Patrick Stegemann und Sören Musyal ist natürlich veraltet, denn es beschreibt eine Zeit vor Corona, vor der russischen Vollinvasion in der Ukraine, vor der Trump-Wiederwahl, vor dem Rechtsruck von Elon Musk und vor der Popularität von Tiktok im Westen.
Trotzdem hilft das Buch immer noch die digitalen Raum-Gewinne der extremen Rechten besser nachzuvollziehen. Denn schon vor fünf Jahren war der Erfolg der extremen Rechten unübersehbar:
„Die extreme Rechte ist heute weltweit in der Lage, über ihre Kernzielgruppen hinaus ihre Botschaften zu platzieren. Sie kann damit Wahlen beeinflussen, und sie kann mitbestimmen, worüber ganze Gesellschaften sprechen.“ (Seite 16)
Das Autoren-Duo zeichnet die Entwicklung der rechten Politisierung von Online-Subkulturen von Gamern nach. Dabei gehen sie auch auf die Incel-Subkultur und den Gamergate 2014 ein. Dieser war eine „gewaltvolle Art der Zensur“, als männliche Gamer versuchten eine Spiele-Entwicklerin und ihre Verteidiger*innen mit einem shitstorm zum Schweigen zu bringen.
Der Gamergate macht die extreme Rechte auf das Potenzial reaktionärer Gamer aufmerksam und sie stieß dazu, weil sie hier Kulturkampf-Potenzial witterte. Es entstand eine rechte „hochpolitisierte Ironiekultur“. Am Anfang vieler Radikalisierungsbiografien stand und steht nämlich ein destruktiver Humor, der sich hinter der Ironie zu verstecken versucht. In Wahrheit sind es aber oft menschenverachtende und extreme rechte Aussagen, die da durch Bilder oder Kommentare zum Vorschein kommen.
Es kam in den 2010er Jahren zu einer Annäherung von extrem rechten chan-Kulturen und organisierten Rechtsextremismus. In den weitgehend unmoderierten chan-Foren rechtsradikalisieren sich junge Männer und ziehen in den „digitalen Partisanenkampf“. Ein rechtsextremes Netzmilieu entstand, was sich im „Infokrieg“ sieht und „Trollterrorismus“ und „Memetic Warfare“ betreibt.
„Die einschlägigen Boards waren einst Orte, an denen sich anonyme Nutzer ihres Frauenhasses und Rassismus versicherten. Nun sind sie zu Foren geworden, in denen eine politische Agenda vorgetragen und verfolgt wird.“ (Seite 48-49)
Die Autoren schreiben bei der Online-Radikalisierung wahlweise von Rampe, Pipeline oder Radikalisierungspfad.
Politisches Trolling wird als Spiel getarnt bzw. ist wie ein Spiel aufgebaut. Je erfolgreicher man ist, desto mehr Anerkennung bekommt man. Eine „Gamifizierung der Politik“ findet statt, etwa im „Great Meme War“ von 2016. Rechte und rassistische Memes stellen dabei eine „Ästhetisierung menschenverachtender Politik“ dar.
Dabei harmonieren Memes grundsätzlich gut mit den rechten Parolen, weil sie einerseits einfache Feindbilder transportieren und sich andererseits hinter dem vermeintlichen Humor oder nicht-ganz-ernst-gemeint verstecken können, wenn es Kritik gibt.
Die extreme Rechte ist aber auch online eigentlich nur eine lautstarke Minderheit, die es allerdings aber schafft „Dominanz im Diskurs vor[zu]täuschen“ (Seite 80).
Demokratie-schädlicher Algorithmus
Der „Infokrieg“ ist auch ein Krieg der Emotionen, die die Infokrieger versuchen durch Trollen und Memes anzusprechen.
„Deswegen sind organisierte Hassattacken und Shitstorms nicht nur »normal« für die rechten Infokriegerinnen, sondern notwendig.“ (Seite 80-81) Besonders beliebt ist das „Negative Campaigning“, also das man politische Gegner*innen dämonisiert. Auch angewandt wird „Doxing“, das Veröffentlichen privater Daten, oder das Kapern von Hashtags.
Das grundsätzliche Problem ist, dass der Algorithmus vieler Plattformen von Zuspitzung und Polarisierung lebt und damit gilt: „Viralität ist Populismus“.
„In den vergangenen Jahren ist beides zusammengewachsen: eine politische extreme Rechte, die Zuspitzung und Spaltung will und auf Verschleierung setzt, und soziale Medien, die genau auf diese Art der Kommunikation befeuern.“ (Seite 121)
Um Menschen möglichst lange auf ihren Plattformen zu halten wird ihnen gezeigt was sie anspricht oder emotional extrem berührt. Da ein Algorithmus nichts mit Ethik zu tun hat, sind die Folgen egal. Die Autoren beschreiben im Buch an einer Stelle, wie ein Youtube-Algorithmus unabsichtlich zur Herausbildung einer pädophilen Struktur führte. Der Algorithmus erkannte dass einige Menschen aus ihrer pädophilen Neigung heraus gerne Videos mit jungen nackten oder wenig bekleideten Personen ansahen und zeigte ihnen immer mehr dieser Videos. In den Kommentarspalten zu besonders beliebten Videos fanden dann die Personen mit pädophilen Neigungen zueinander, bestärkten sich und tauschten Kontakte aus. So entstand aus einem Youtube-Algorithmus ein Pädophilen-Ring.
In der Szene etablieren sich auch rechte Influencer*innen, von denen mehrere im Buch porträtiert wurden. Die rechten Influencer*innen arbeiten auch stark mit einer Emotionalisierung:
„Die Aufgabe rechter Influencer*innen ist es, immer wieder an diese Gefühle der Gegnerschaft nach außen und Gemeinschaft nach innen zu appellieren: Der Feind, der bekämpft werden muss, und die eigene tragende Rolle dabei stehen fortwährend im Mittelpunkt.“ (Seite 81)
Rechte Trolle für Trump und AfD
Rechte Chan-Trolle unterstützten Trumps Wahl-Kampagne 2016, die AfD zur Bundestagswahl 2017 und andere rechte Parteien im Wahlkampf. Die rechte Online-Kultur ist zwar international, aber trotzdem gibt es manchmal nationale kulturelle Eigenheiten die eine 1:1-Übertragung verhindern. So war beispielsweise die Verwendung der, von rechts gekaperten, Symbolfigur „Pepe, der Frosch“ nicht auf den Wahlkampf in Frankreich übertragbar, weil hier Frösche eine spezifische Bedeutung haben.
Die Autoren schreiben von den „drei Dopings der AfD: Influencer*innen, Vorfeldorganisationen und Fakes“ (Seite 231).
Die rechte Trollarmee ist dabei eine Art digitaler Narrensaum der extremen Rechten, der aber nur bedingt kontrollierbar oder in eine Strategie rechter politischer Parteien eingebunden ist. Stegemann und Musyal resümieren: „Der Erfolg der AfD ist also nicht Ergebnis einer besonders klugen Medienstrategie. Die AfD ist schlicht Teil des rechten Infokrieges. Sie teilt die extreme Idee von Öffentlichkeit, die in klarer Opposition zur demokratischen Mehrheitsgesellschaft steht. Entscheidender Teil dieser Strategie ist es, die eigene Community von anderen Medien zu entfremden.“ (Seite 241)
Zwar ist inzwischen aus der Facebook-Partei AfD eine Tiktok-Partei geworden, trotzdem ist die Lektüre des Buches noch immer hilfreich um den Online-Siegeszug der extremen Rechten nachzuvollziehen.
Patrick Stegemann, Sören Musyal: Die rechte Mobilmachung. Wie radikale Netzaktivisten die Demokratie angreifen, Berlin 2020