Buchkritik „The Making of an Englishman“ von Fred Uhlman

Auf einer Führung durch die Gedenkstätte „Hotel Silber“, dem ehemaligen Gestapo-Quartier in Stuttgart, empfahl die Führerin Janka Kluge die Autobiografie „The Making of an Englishman“ von Fred Uhlman (1901-1985). Ich habe mir das Buch bestellt und mit Wissensgewinn und mit viel Vergnügen gelesen.
Das Buch erschien bereits 1960 auf Englisch und 1998 in Deutsch. Fred Uhlman beschreibt darin sein Leben bis 1933 in Deutschland und ab 1933 im Exil.

Kindheit und Jugend
Uhlman kam aus einer jüdisch-säkularen wohlhabenden Familie. Doch Geld allein macht nicht glücklich, seine Eltern waren unglücklich in einer arrangierten Ehe gefangen.
Das Judentum spielte für Uhlman in seiner Kindheit und Jugend kaum eine Rolle. Doch Erfahrungen mit Antisemitismus machte er immer wieder. Laut ihm machte machte der christliche Religionsunterricht an seiner schule sogar aus ihm selbst „einen kleinen Antisemiten“.
Er schrieb über den Charakter von Antisemitismus: „Antisemitismus ist eine seltsame Krankheit, die sich an den unwahrscheinlichsten Stellen ausbreitet. Er ist bei vielen, die davon nichts ahnen, unterschwellig vorhanden. Sie sind dann bestürzt und beschämt, wenn er bei ihnen hervortritt. Der eine kann unser Freund sein und uns in sein Haus einladen, aber er würde eher sterben, als uns in seinen Club mitzunehmen. […] Meine eigenen Erfahrungen haben in mir eine gewisse Empfindlichkeit hinterlassen, die Angst, verletzt zu werden. Wie ein Seismograph fühle ich die kleinste Erschütterung und neuen Bekannten gegenüber bin ich instinktiv vorsichtig.“ (Seite 41)
In der Novemberrevolution 1918 wird er Mitglied einer reaktionären Einwohnerwehr, die sich vor allem aus Schülern seines Gymnasiums zusammen setzt.

Studium und Arbeit als Rechtsanwalt
Dann beginnt Uhlman ein Jura-Studium in Freiburg, München und Tübingen. In Freiburg wurde er Mitglied der schlagenden jüdischen Studentenverbindung Ghibellinia im KC. Eine nicht-jüdische Verbindung war ihm als Juden nicht zugänglich: „Alle Verbindungen hatten etwas gemeinsam: Sie nahmen keine Juden auf, verachteten die »Spießbürger« (das heißt, die Einwohner der Stadt) und hatten keinerlei Kontakt mit der Arbeiterklasse.“ (Seite 75)
Alle Bemühungen halfen nichts. So schrieb er über einen jüdisch-stämmigen, konvertierten Kommilitonen in Tübingen: „Einer von ihnen war Jordan, der aus einer vornehmen, aber getauften jüdischen Familie stammte. […] Er biederte sich den unbedeutendsten, nichtjüdischen Studenten an, um in ihrer Gesellschaft gesehen zu werden. Aber trotz aller Bemühungen war er meistens alleine. Jede Verbindung, in die er eintreten wollte, hatte ihn abgelehnt.“ (Seite 112)
Uhlman schreibt auch über das unter ’schlagenden‘ Verbindungen praktizierte Mensur-Fechten: „Wer Glück hatte, erhielt einen schönen Durchzieher – einen geraden Schlag, der die Wange spaltete und gelegentlich ein paar Zähne ausschlug. Wer aber Pech hatte, erhielt einen Schlag über den Mund oder die Nase, was in der Tat sehr unangenehm war. Eine »geraden« zu bekommen war der Traum eines jeden Corpsstudenten, aber überhaupt einen Schmiss zu haben war besser als keinen, da er der Öffentlichkeit bewies, daß man »etwas Besseres« war – ein Akademiker.“ (Seite 80-81)
Nach einem einjährigen Aufenthalt in München, studiert Uhlman in Tübingen zu Ende, aber er wird mit der Stadt nicht warm: […] war ich entschlossen, Tübingen so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Ich haßte die Atmosphäre von Armut und Hoffnungslosigkeit, aber noch mehr die wachsenden politischen Spannungen. Fast alle Studenten waren nationalistisch und reaktionär, und es kursierten Geschichten von geheimen Wehrübungen und versteckten Waffen. Die meisten von ihnen haßten die Novemberverbrecher, die für die Novemberrevolution von 1918 verantwortlich waren; die meisten von ihnen hatten sich eingeredet, daß Deutschland den Krieg nie verloren hätte, wenn es nicht den Dolchstoß durch Juden, Freimaurer, Bolschewiken und andere dunkle Mächte gegeben hätte.“ (Seite 112)
Nach seinem abgeschlossenen Studium 1927 begann Uhlman als Rechtsanwalt in Stuttgart zu arbeiten. Er wird aktives Mitglied der SPD und schreibt seine Kanzlei wäre „seit 1930 hauptsächlich damit betraut“ gewesen, „die Verteidiger der Weimarer Republik zu verteidigen.“ (Seite 151). Damit meint er SPD- und Reichsbanner-Mitglieder. Seine besondere Bewunderung gilt dem SPD-Politiker Kurt Schumacher.
Die SPD wurde damals auch von Parteikommunisten sabotiert und angegriffen, worüber Uhlman wütend berichtet.

Im Exil
Als Jude und SPD-Mitglied ist klar dass er nicht lange ohne Probleme im Machtbereich Hitlers bleiben kann.
Nach einem warnenden Hinweis flieht Uhlman am 23. März 1933 als 32-jähriger Rechtsanwalt von Stuttgart nach Paris.
Hier versucht er ein Auskommen zu finden. Gleichzeitig arbeitet er gegen das Hitler-Regime und ist im „Freien Deutschen Klub“ in Paris aktiv.
Nach mehreren gescheiterten Versuchen wird er als 34-Jähriger als Autodidakt Maler. Bei einem Aufenthalt in dem kleinen Ort Tossa lernt er die Engländerin Diana Croft kennen. Sie wird seine spätere Frau werden und ist die Tochter des adeligen, christlichen Tory-Abgeordneten Sir Henry Page Croft. Dieser ist nicht ‚amused‘ das seine Tochter einen Deutschen, Sozialisten, Juden und Künstler heiratet, denn dadurch wird seine Tochter unzweifelhaft deklassiert.
Er zieht nach London und wird ein ‚Englishman‘. Sein Buch ist voll des Lobes über England, was ihm zuerst so unbekannt ist wie China.
Die ersten Jahre lebt das Ehepaar in London, auch der bekannte Künstler John Heartfield lebte vier Jahre in dem Haus der Uhlmans dort.
Fred bleibt weiterhin antinazistisch aktiv, nämlich in der 1939 gegründeten „Free German League of Culture“. Diese wird aber kommunistisch unterwandert, was den antistalinistisch eingestellten Uhlman ärgert, da er mit ideologisch verhärteten Parteikommunisten schlechte Erfahrungen gemacht hat: „Ich hatte schon vor längerer Zeit beschlossen, mit einem Kommunisten nicht über Politik zu reden – es war so sinnlos, als ob man mit einem fanatischen Araber über Allah diskutierten wollte.“ (Seite 302)
Trotz seiner antinazistischen Einstellung wird Uhlman nach Kriegsbeginn 1940 für sechs Monate in ein Internierungslager auf der Insel Man gesteckt. Hier begegnete er bekannten Künstlern wie Kurt Schwitters oder Oskar Kokoschka.
Während er im Exil ist, wurden im Holocaust mehrere Familien-Mitglieder Uhlmans ermordet, sein Eltern in Theresienstadt und seine Schwester in Auschwitz.

Trotz der harten Zeiten ist das Buch stellenweise sehr amüsant. So schreibt der Autor über die Bayern: „Jahrhunderte heftigen Bierkonsums hatten weder die Schönheit noch die Intelligenz der Bayern vergrößert. Die Einwohner der höher gelegenen Gegenden in Bayern schienen mir einen sehr niedrigen Intelligenzquotienten zu haben. Ich glaube es ist leicht einzusehen, warum dieser Teil Deutschlands die Wiege des Nationalsozialismus werden sollte. Nirgends sonst in Deutschland hätte Hitler mehr Chancen gehabt, seinen Anfangserfolg zu erringen, nirgends sonst hätte er einen solchen Gipfel an Trägheit, engstirnigen Provinzialismus und Fremdenhaß vorgefunden.“ (Seite 96)
Gerade für eine Autobiografie ist das Buch sehr kurzweilig. Nicht nur an Geschichte interessierte Menschen sollten es unbedingt lesen.

Fred Uhlman: The making of an Englishman: Erinnerungen eines deutschen Juden, Zürich 1998.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.