Buchkritik „Solidarität“ von Natascha Strobl

Auf der Buchmesse in Leipzig habe ich mir das 2023 erschienene Büchlein „Solidarität“von Natascha Strobl gekauft und gleich signieren lassen. Es ist in einer Buchreihe mit dem schönen Namen „übermorgen Reihe“ erschienen.
Wie die Autorin selbst schreibt, ist es ein „Plädoyer für Mut und Zuversicht“ und ein „Antidot gegen Fatalismus, Zynismus und Defätismus“. In ihrem Buch plädiert Strobl für eine solidarische Krisenbearbeitung jenseits von einer liberalen oder einer autoritären.
Die liberale Krisenbearbeitung versucht die ‚gute alte Zeit‘ zu bewahren bzw. zu ihr zurückzufinden. Gegen diese 1990er-Jahre-Nostalgie wendet sich Strobl vehement: „Mittlerweile haben wir aber eine gänzlich andere Situation. Die Krise ist zur Normalität geworden und keine nervende Episode mehr, die vorübergeht. Die alte Normalität kommt nicht wieder. Sie ist unwiederbringlich weg. Diejenigen, die in der Asche dieser Normalität wühlen und glauben, dass sich daraus wieder Realität basteln ließe, haben den Blick auf die Gegenwart verloren.“ (Seite 29)
Ein Zurück gebe es nicht mehr: „Es gibt kein Zurück mehr in die Nachkriegsdemokratie mit all ihren Fehlern. Es gibt nur ein Vorwärts in der Geschichte. Das bedeutet, dass sich die Art, wie wir leben, wirtschaften, produzieren, wie wir wohnen, mobil sind, essen und arbeiten, grundsätzlich verändern wird.“ (Seite 41)
Diese konservative und sozialdemokratische Nostalgie ist stark verbunden mit dem von den 1980ern bis 2008 führenden Neoliberalismus. Doch die tonangebende Kapitalfraktion des Finanzkapitals wird nach Strobl von der jüngeren Fraktion des Tech-Kapitals herausgefordert. Das Tech-Kapital wird dabei verkörpert durch Personen wie Jeff Bezos, Elon Musk, Marc Zuckerberg oder Peter Thiel. Diese unterstützen zum Teil autoritäre Varianten der Krisenbearbeitung: „Hier sind vor allem die Milliardäre des Tech-Kapitals federführend, etwa Peter Thiel und Elon Musk, die offen für Trump eintreten und/oder antidemokratische Visionen ventilieren. Die Verbindung von ultraliberalem Wirtschaftsdenken und rechtem Kulturkampf eröffnet noch einmal ein ganz eigenes Einfallstor für autoritäre Lösungen, die zugleich technikaffin und demokratiefeindlich sind.“ (Seite 36)
Für Strobl ist die Wahl Trumps 2016 aber ein „Symptom der Krisen“ und nicht deren Ursache

Wie in ihrem gleichnamigen Buch warnt Strobl vor einem „radikalisierter Konservatismus“ als einer Art ‚Faschisierung‘. Es fragt sich aber, ob es sich nicht zum Teil um einen re-radikalisierten Konservatismus handelt, wenn man sich z.B. die Vertreter des (west-)deutschen Nachkriegs-Konservatismus wie Adenauer oder Strauß anschaut, die stark autoritäre Züge aufweisen. Zudem scheinen sich manche Konservative nur auf ökonomischer Ebene zu radikalisieren. Friedrich Merz hat die in ihn gesetzten rechtskonservativen Hoffnungen aus Sicht der Rechtskonservativen größtenteils enttäuscht. Er poltert zwar hin und wieder, aber ein wirklich rechtskonservatives Programm scheint er nicht zu haben.
Der politische Feind ist dabei oft nicht gut greifbar, denn es kam zu einer Art von Dezentralisierung der extremen Rechten: „Herkömmliche Formen der Organisierung sind in Zeiten von Social Media immer seltener. Vielmehr ist ein großes transnationales, diffuses Netzwerk an extrem rechten, konservativen und faschistischen Influencer:innen, Medienprojekten und Verlagen entstanden, das den globalen Kulturkampf vorantreibt.“ (Seite 33)
„Es gibt kein einzelnes hegemoniales Zentrum, das Vorgaben macht oder die Agenda setzt. Vielmehr passiert eine pausenlose gegenseitige Radikalisierung durch überzeichnete Anekdoten, Halbwahrheiten, Verzerrungen und Lügen.“ (Seite 34)

Strobl empfiehlt Linken sich von den bewahrenden autoritären Kräfte abzugrenzen und eben eine dritte Variante der Krisenbearbeitung anzubieten, jenseits einer autoritärer Krisenbearbeitung oder eines grünen Kapitalismus. Denn: „Konkrete und praktische Hoffnung auf eine radikale Änderung der Verhältnisse war immer die stärkste Waffe linker Politik.“ (Seite 68)
Das ist sicherlich richtig, aber manchmal bildete sich ein Bündnis von Linken mit bewahrenden Kräften, um eine rechte Machtübernahme zu verhindern. Da ist dann Biden besser als Trump und Macron besser als LePen.
Strobl jedenfalls plädiert für einen „solidarischen Antikapitalismus“ und dafür, die solidarische Klammer möglichst breit anzusetzen, um Mehrheiten zu gewinnen.
Ein grüner Kapitalismus, wie ihn die bewahrende Krisenbearbeitung, offeriert, würde eine Individualisierung der Krisen-Lasten bedeuten. Um der Gerechtigkeit willen dürfen die Krisen-Lasten aber nicht gleichmäßig verteilt werden, da sie gar nicht gleichmäßig verursacht wurden. In diesem Zusammenhang wendet sich Strobl auch gegen eine individuelle Verzichtsethik. Der Verzicht des Individuums sei nicht entscheidend, wenn 70% des globalen CO2-Ausstoß von nur 100 Firmen stammt.

Am Ende des Buchs finden sich „Beispiele für praktische Solidarität in der Gegenwart“ verkörpert durch die O-Töne von NGOs.

Drei kleine Kritikpunkte:

  • Die Zeitdiagnose, dass die Krise zur Normalität geworden sei, stimmt zwar für den Westen, aber damit ist die Krise vor allem in den Metropolen angekommen. Es sollte nicht ignoriert werden dass sie schon vor 2008 die Katastrophe in anderen Weltteilen für große Teile der Bevölkerung bittere Realität war.
  • Irgendwie hat sie das Thema Artensterben etwas vergessen. Sie erwähnt nur den Klimawandel.
  • Die hindunationalistische Partei BJP von Narendra Modi in Indien war nie „nur konservativ“, sie hatte immer einen hindunationalistische Charakter und in Teilen faschistoide Züge.

Die Lektüre des Buch lohnt sich. Der Preis ist aber mit 20 Euro ein wenig viel in Anbetracht der Seitenzahl.

Natascha Strobl: Solidarität, Wien 2023.

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