Buchkritik „Herkunft“ von Saša Stanišić

BILD Buch.Herkunft.by.Stanisic, Sasa

Das Buch „Herkunft“ hat Saša Stanišić 2018 verfasst. Es handelt sich um eine autobiografisch geprägte Splittersammlung von Anekdoten, Episoden und fiktiven Erzählungen, die grob chronologisch ist.
Der aus Bosnien-Herzegowina stammende Autor beschäftigt sich in seinem Buch mit dem Thema „Herkunftskitsch“, wie er selbst schreibt.
Eine besonders große Rolle nehmen seine jugoslawischen Großeltern ein.
„Großmutter entstammte einer Familie und einer Zeit, in der die Männer Schafe schoren und Frauen Pullunder strickten. Manieren blieben anwendungsbezogen, Fantasien unausgesprochen, die Sprache war präzise und grob. Dann kam der Sozialismus und diskutierte die Rolle der Frau, und die Frau ging aus der Diskussion nach Hause und hängte die Wäsche auf.“ (Seite 22)
Immer wieder taucht das titelgebende Thema Herkunft auf, oft in Frageform:
„Provenienz der Eltern? Gene, Ahnen, Dialekt? Wie man es dreht, Herkunft bleibt doch ein Konstrukt! Eine Art Kostüm, das man ewig tragen soll, nachdem es einem übergestülpt worden ist. Als solches ein Fluch! Oder, mit etwas Glück, ein Vermögen, das keinem Talent sich verdankt, aber Vorteile und Privilegien schafft.“ (Seite 33)

Im Buch spielt auch der bosnische Bürgerkrieg und seine Nachbeben eine Rolle. Vor diesem flüchtete seine Eltern 1992 mit dem damals noch jungen Autor nach Deutschland. Eine Großmutter bleibt dagegen zurück. Die Ankunft in Deutschland ist ein Neuanfang in Armut. Die Eltern arbeiten sich kaputt, die Mutter in einer Wäscherei und der Vater auf dem Bau.
Immer wieder wird der Autor mit Rassismus konfrontiert:
„Wir tragen Häkchen im Namen. Jemand, der mich gern hatte, nannte meine mal »Schmuck«. Ich empfand sie in Deutschland oft eher als Hindernis. Sie stimmten Beamte und Vermieter skeptisch, und an den Grenzen dauerte die Passkontrolle länger als bei Petra vor und Ingo hinter dir.“ (Seite 61)
Nach ein paar Monaten in Deutschland wird die Familie im Emmertsgrund ansässig. Hier konzentrieren sich migrantische Bewohner*innen:
„Im Emmertsgrund wohnen besonders viele Migranten. Das ist in Deutschland überall gleich: Migranten wohnen meistens im Besondersviel. Touristen fahren tendenziell erst zum Brandenburger Tor, andere Touristen gucken, dann nach Neukölln, Kaffee trinken und Araber gucken, und das wird sich nicht so schnell ändern, da können wir interkulturelle Dialoge fürs Theater bis übermorgen schreiben.“ (Seite 126)
Im Jahr 1998 wandern seine Eltern nach Florida aus, um nicht nach Bosnien abgeschoben zu werden. Nur der Autor kann bleiben, um Schriftsteller zu werden. Er zieht für sein Studium ins Heidelberger Zentrum:
„Nach den Emmertsgrund, dem Ungeschliffenen, durfte ich bald die Altstadt [von Heidelberg], den Schmuckkasten, mein nennen. Die besten Hanglagen bewohnten hier nicht Migranten, sondern Burschenschaftler. Die Altstadt war stolz auf sich. Dass sie älter wurde, aber nicht älter aussah. Der Verfall wurde aufgehalten oder kaschiert. Man war stolz auf das Abschneiden der Universität in den Rankings, auf das Verschontgebliebensein von amerikanischen Bombern. Auf die Ausländer im Emmertsgrund war man sowieso stolz. Solange wir keinen Scheiß bauen.“ (Seite 128-29)
Der Autor stellt fest dass im Gegensatz zu den Kindern des deutschen Bürgertums das kulturelle Kapital fehlt.
Doch der Autor wird ein erfolgreicher Schriftsteller und hat selber ein Kind.
Währenddessen leidet seine bosnische Großmutter unter Demenz:
„Über ihr Jetzt hat sich ein Schleier aus Damals gelegt. Fiktionen sind hineingewoben.“ (Seite 47)
Stanišić tritt eine Reise nach Bosnien an, vermutlich um seine Großmutter ein letztes Mal zu treffen.

Das Buch liest sich schön und am Ende gibt es sogar eine Variante eines Pen&Paper-Spiels.
Allerdings ist die Komposition des Buchs möglicherweise nicht jedermanns Sache.
Vielleicht erstmal rein lesen und dann entscheiden, ob es zusagt.

Saša Stanišić: Herkunft, München 2019.

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