Buchkritik: „Rechter Terror“ von Martin Steinhagen

Der Journalist Martin Steinhagen hat 2021 das Buch „Rechter Terror. Der Mord an Walter Lübcke und die Strategie der Gewalt“ veröffentlicht. In diesem berichtet er über den Prozess gegen Stephan Ernst und Markus H. wegen des Mords an dem Regierungspräsidenten und CDU-Mitglied Walther Lübcke in der Nacht vom 1. auf den 2. Juni 2019. H. galt lange als möglicher Komplize von Ernst bei der Tat – einige Beobachter*innen halten das auch weiter für wahrscheinlich.
Der Prozess umfasste 45 Verhandlungstage zwischen dem 16. Juni 2020 und dem 28. Januar 2021 und das Beweis-Material wurde in 260 Ordnern abgeheftet.

Sowohl den Haupttäter als auch das Opfer porträtiert der Autor. Stephan Ernst, Jahrgang 1973, blickt auf eine lange ‚Karriere‘ rechter Gewalt zurück. Bereits im April 1989 beging er als 15-Jähriger aus rassistischen Motiven einen Brandstiftungs-Versuch. Es folgte u.a. der Messerangriff auf einen Kurden auf einer Bahnhofstoilette im November 1992, bei dem das Opfer schwer verletzt wurde, und im Dezember 1993 ein Rohrbombenanschlags-Versuch auf das Auto eines migrantischen Arbeiters. Selbst in der folgenden Untersuchungshaft verletzt er einen türkischen Mithäftling schwer.

Neben dem Fall Lübcke gibt Steinhagen in seinem Buch die Geschichte des Rechtsterrorismus in Westdeutschland bis 1990 und im wiedervereinigten Deutschland danach wieder und er zeichnet die extrem rechten Strukturen in Nordhessen nach, in denen sich Ernst und H. bewegten.
Vor 1990 gab es laut Forschungen der Historikerin Barbara Manthe in Westdeutschland mehr als 40 Gruppen und Alleintäter im Bereich Rechtsterrorismus, auf deren Konto mindestens 24 Todesopfer gehen.
Man erfährt im Buch z.B. dass der Rechtsterrorist Manfred Roder vom iranischen Mullah-Führer Khomeini inspiriert wurde und dessen Strategie, Reden von sich auf Kassetten zu verbreiten, kopierte.
Als grundsätzliches Ziel von Rechtsterrorismus macht Steinhagen den Kampf gegen Liberalisierung aus: „Meist geht es im weitesten Sinne um den Versuch, gesellschaftliche Prozesse der Liberalisierung mit Gewalt aufzuhalten. Erfolg haben die Täter damit im Großen und Ganzen nicht.“ (Seite 96)
Doch Rechtsterrorismus verändert sich im Laufe der Zeit: „Wenn für die 1970er Jahre eher die Befehl-und-Gehorsam-Wehrsportgruppen prägend sind, zeichnet sich schon in seit den 1980ern eine Tendenz zu teils spontanen Zusammenschlüssen, kleineren Einheiten oder Zellen ab. Trotz des in den 1990ern verstärkt zirkulierenden Konzepts vom »führerlosen Widerstand« gibt es zugleich weiter Versuche, hierarchische militante Organisationen aufzubauen, und viele der alten langlebigen Strukturen überdauern den Trend.“ (Seite 130)

Selbst wenn Ernst bei dem Mord ein Alleintäter gewesen sein sollte, so bewegte er sich doch jahrzehntelang in einer Neonazi-Szene und danach online in einer entsprechenden Filterblase. Ernst ist ein Beispiel für die „Generation Hoyerswerda“, benannt nach dem rassistischen Pogrom von Hoyerswerda, die zur „Generation NSU“ wurde.
Beim Inlandsgeheimdienst („Verfassungsschutz“) galt Ernst als „abgekühlt“. Dabei ist es gut möglich dass Ernst am 6. Januar 2016 Ahmed I. mit einem Messer verletzt hat. Der Fall wurde im Lübcke-Prozess auch aufgerollt, aber das Gericht war von den Indizien nicht überzeugt.
Steinhagen stellt fest, altgewordene Neonazis „passen ihre Aktivitäten ihren Lebensphasen an“ (Seite 158). Dabei war Ernst politisch nicht inaktiv. Er besuchte 2016 AfD-Demos in Erfurt und in Eisenach und nahm am 1. September 2018 mit H. an einer extrem rechten Demo in Chemnitz teil. Zudem spendete er an die AfD (2016, 2017), an den extrem rechten Musiker Chris Ares (August 2018), an die „Identitäre Bewegung“ (bis 2019 insgesamt 300 Euro) und an das extrem rechte Netzwerk „Ein Prozent“ (September 2016). Außerdem kaufte er bei dem neurechten Verlag Antaios ein. Hier wird exemplarisch vom Autor aufgezeigt dass sich Neue Rechte und alte neonazistische Rechte nicht so fern sind. Ernst ist ein klassischer Neonazis, aber seine Sympathien galten auch nicht-neonazistischen Gruppen der extremen Rechten wie etwa der „Identitären Bewegung“.
Offline hatte er neben H. Auch noch einen rechten Resonanz-Raum bei seinen Arbeits-Kollegen, die offenbar auch rechts und rassistisch eingestellt waren.

Martin Steinhagen zeichnet in seinem Buch auch die Internet-Karriere eines Video-Clips nach. Markus H. filmte den Auftritt von Lübcke am 14. Oktober 2015 in Lohfelden bei einer Diskussion um die Unterbringung von Geflüchteten. Er schneidet den Clip manipulativ zusammen, so dass der Eindruck entsteht der Saal sei gegen Lübcke und Lübcke würde die Neuankömmlinge den Autochthonen vorziehen. In Wahrheit legte Lübcke nur den Pöbler*innen nahe dass sie den Wohnort wechseln könnten, wenn ihnen eine parlamentarische Demokratie nicht gefalle. Außerdem positioniert sich Lübcke gegen „Armutsflüchtlinge“ vom Balkan.
Doch der von H. zusammengeschnittene Clip erweckt einen anderen Eindruck und geht viral. Allein das Original-Video sammelt bis zum Urteil gegen Ernst und H. im Januar 2021 über 400.000 Klicks. In den Jahren 2017 und 2019 wird der Clip nochmal von der AfD-Freundin und Ex-CDU-Parteifreundin Lübckes Erika Steinbach verbreitet. Selbst bei bei PEGIDA in Dresden vor 15.000 Menschen wird Lübcke von Akif Pirrinci in einer Rede erwähnt.
Steinhagen nennt den Clip „Erregungsfutter“. Lübcke erhielt zeitweise Polizeischutz wegen der Hass-Wellen.
Offenbar erliegen Ernst und H. ihren eigenen Manipulationen. Der Erfolg des Clips bestärkt Ernst: „Er sieht sich offenbar als Teil einer Bewegung: »… wir sind nicht mehr allein und wir werden mehr.«“ (Seite 198)
Ernst schreitet zur Tat, er ist nicht der einzige alte Neonazis, der wieder aktiv wird. Auch der Angriff auf die Kölner OB-Kandidatin Henriette Reker am 17. Oktober 2015 wurde z.B. durch einen ‚wiederaufgetauten‘ Alt-Neonazi begangen.

Die seit 2015 verstärkt einsetzende rassistische Welle ist eine gemeinsame inhaltliche Klammer: „Vom Volkstod-Wahn der Neonazi-Szene bis zum »Deutschland schafft sich ab«-Raunen in Bestsellern ist die Vorstellung einer existenziellen Bedrohung des völkisch verstandenen »deutschen Volkes« weit verbreitet.“ (Seite 192)
Rechte Untergangsszenarien führen zu scheinbar notwendigen Vorbereitungen und diese wiederum verleiten schlimmstenfalls zu Taten: „Von den angesammelten Waffen – angeblich ja bloß für den Fall der Selbstverteidigung beschafft – kann eine Art Handlungsdruck ausgehen. Wie lange noch zusehen, wenn man doch vorbereitet ist?“ (Seite 254)

Das Buch ist sowohl für Thema-Einsteiger*innen etwas als auch für ‚Fortgeschrittene‘ im Thema. Es liest sich schlüssig und schnell.
Der journalistische Stil Szenen so zu beschreiben als wäre man dabei gewesen, etwa den Mord an Walter Lübcke, ist eindrucksvoll, kann aber manchmal zu sehr den Eindruck erwecken der Autor hätte die Szene selbst erlebt. Das ist aber eine Geschmackssache.
Die Lektüre des Buches sei jeder/jedem am Thema Interessierten ans Herz gelegt.

Martin Steinhagen: Rechter Terror. Der Mord an Walter Lübcke und die Strategie der Gewalt, Hamburg Mai 2021.

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