Buchkritik: „22 Bahnen“ von Caroline Wahl

In ihrem Roman „22 Bahnen“ erzählt Caroline Wahl die Geschichte von Tilda Schmitt. Tilda lebt in einer unbenannten Kleinstadt mit ihrer kleinen Schwester Ida und ihrer Mutter im traurigsten Haus in der Fröhlichstraße. Ihre Mutter ist Alkoholikerin und phasenweise gewalttätig. Ihr Vater hat sich schon vor langer Zeit davon gemacht. Trotz dieser erschwerten Bedingungen schlägt sich Tilda durch. Sie arbeitet an der Supermarktkasse, sie studiert Mathe in einer Stadt, die einen Fahrtstunde entfernt liegt, und sie geht schwimmen. Immer 22 Bahnen. Wenn es regnet, kommt manchmal Ida mit. Im Schwimmbad begegnet Ihr Viktor Wolkow, der große Bruder von Ivan. Ivan war der Freund von ihrer besten Freundin Marlene. Er ist mit seiner Familie vor fünf Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen als sie sich gerade annäherten. Letztendlich kommen sich Tilda und Viktor näher, beide haben mehr auf ihren Schultern als viele andere Menschen in ihrem Alter. Deswegen betrachtet Tilda das unbeschwerte Studi-Leben der Anderen oft mit Neid. Denn sie muss sich um ihre kleine Schwester kümmern und Geld verdienen.
Das unbeschwerte Leben ihrer Freundin Marlene in Berlin stellt einen Kontrast zu ihrem Leben dar: „Während Marlene ein Gap-Year gemacht hatte, um sich selbst zu finden, jobbte ich inzwischen Vollzeit im Supermarkt, um mein im Herbst beginnendes Mathematikstudium zu finanzieren.“ (Seite 55)
Schon vorher hatte die Zahnarzt-Tochter Marlene mit ihrer Bilderbuch-Familie ein Leben, was Tilda beneidete. Denn ihre Familie ist keine „Abendbrot-Familie“, wie sie es nennt.
Das Mathe-Studium ist ihre Rettungsinsel vor dem Chaos in ihrem Leben, genauso wie das Schwimmen.

Die Autorin schreibt gut und authentisch, etwa wenn sie über den Prüfungsstress an der Universität schreibt: „Wie immer riecht es in den Unigebäuden in den letzten 2 Wochen vor den Semesterferien nach Stressschweiß, Kaffee und Tränen, und ich verbiete mir, mich von dieser Massenhysterie mitreißen zu lassen. Keine Kapazitäten. Wenn sich die Studenten in dieser Zeit wie von einem verrückten Virus infiziert, mit Augenringen unter den Augen, in Jogginghosen und mit riesengroßen Taschen volle Tupperdosen und Energydrinks in die Unis schleppen, als würden sie in den Krieg ziehen, und ihre Zelte an allen verfügbaren Tischen auf dem Gelände aufschlagen, finde ich das ein bisschen lustig, aber in erster Linie ärgere ich mich, dass mein Platz in der Unibib direkt am Fenster besetzt ist und auch alle anderen.“ (Seite 48)

Das Buch ist auch eine Liebesgeschichte, aber am anrührendsten ist die Liebe zwischen den beiden Geschwistern Tilda und Ida.
Obwohl das Buch nur knapp über 200 Seiten hat, ist es nicht zu kurz, sondern hat genau die richtige Länge.
Lest unbedingt mal rein!

Caroline Wahl: 22 Bahnen, Köln 2023.

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