Buchkritik „Radikalisierter Konservatismus“ von Natascha Strobl

Das 150-seitige Buch „Radikalisierter Konservatismus. Eine Analyse“ von Natascha Strobl erschien 2021 und wurde bereits viel gelobt – zu Recht. In ihrem Werk skizziert Strobl eine bedenkliche Entwicklung im Konservatismus in Richtung Autoritarismus und Rechtspopulismus. Konservatismus definiert sie dabei wie folgt:
„Kurz gefasst, verstehen wir unter Konservatismus also eine antiegalitäre, antirevolutionäre, klassenharmonisierende Haltung, deren höchste Werte Ordnung und Eigentum sind.“
(Seite 12)
Dabei macht die Autorin den Unterschied vom radikalisierten Konservatismus zum Faschismus im revolutionären Charakter des Faschismus fest:
„Konservatismus ist eine Herrschaftsideologie zur Absicherung bestehender (Besitz-)Verhältnisse. Faschismus ist eine Ideologie, die – durch einen (gewissen) Austausch der Machteliten – die bestehende politische Ordnung überwinden möchte.“
(Seite 17)
Dasselbe gilt auch für den modernisierten Neofaschismus, den Rechtsextremismus:
„Im Gegensatz zum klassischen Konservatismus streben rechtsextreme Parteien eine schnelle und umfassende Transformation der Gesellschaft an. Konservative Parteien dagegen möchten den Status quo aufrechterhalten bzw. nur behutsam ändern.“
(Seiten 30)
Der neue, radikalisierte Konservatismus verlässt laut Strobl seine alten Gleise:
„Radikalisierter Konservatismus ist zugleich Bruch und Kontinuität der Entwicklungen davor. Die konservative Partei kündigt einseitig den (prekären) Konsens mit der linkeren staatstragenden Partei – der (historisch) organisierten Arbeiter:innenbewegung – auf.“
(Seite 33)

Die Radikalisierung von Teilen des Konservatismus setzt Strobl 2008 an. Als Beispiele führt sie so unterschiedliche Politiker wie Robert Kurz (ÖVP), Donald Trump (Republikaner) oder Boris Johnson (Conservative Party) an. Ihr gelingt es dabei überzeugend die Gemeinsamkeiten aufzuzeigen. Wichtig sei ein ökonomischer Nationalismus, wie oft auch ein Anti-Urbanismus, der sich gegen die Hauptstadt richtet.
Der radikalisierte Konservatismus stellt aber eher einen Stil als eine gefestigte Ideologie dar.
Der neue Stil des radikalisierten Konservatismus ist rechtspopulistisch:
„Es geht nicht mehr darum, ein detailliertes Programm auszuarbeiten und möglichst überzeugend zu vertreten. Es geht darum, ein neues Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. In Zeiten der gesellschaftlichen und ökonomischen Verwerfungen ist das kein defensives und statisches, sondern ein aggressives und dynamisches Gefühl. Das Versprechen, dem ihm zugrunde liegenden Bedürfnis Geltung zu verschaffen, ist der ideologische Kern des radikalisierten Konservatismus.“
(Seite 37)
Damit nähert er sich dem Rechtsextremismus an:
„Radikalisierter Konservatismus übernimmt die Strategien und Sprachen des Rechtspopulismus bzw. des parteiförmigen und außerparlamentarischen modernen Rechtsextremismus. Er setzt dabei auf Polarisierung statt auf Konsens und möchte das bestehende politische System zu seinen Gunsten umzugestalten.“
(Seite 39)
In Ländern wie Ungarn hat er sogar den Rechtsextremismus verdrängt und dessen Rolle eingenommen.
Auch innerparteilich wird es autoritärer, denn die konservative Partei wird auf die Führungsposition ausgerichtet (Strobl: „Von der Staatspartei zur Leaderpartei“).
Man befindet sich Dauerwahlkampf, wirft die „Aufregerproduktionsmaschine“ an und erschafft Gegenrealitäten. Man befände sich im „Rausch der ständigen Offensive“ (Seite 130) und richtet sich paradoxerweise gegen das als links markierte Establishment aus:
„Dabei entsteht das Paradoxon einer konservativen Partei, die sich als Kämpferin gegen das alte System geriert und doch auch die Glaubwürdigkeit ihrer jahrzehntelangen Rolle als staatstragender Partei ausnutzt.“
(Seite 90)

Strobl geht auch auf Gegenstrategien ein und meint dass eine moralisierte Kritik nicht helfen würde.
Vielleicht wäre es wichtig zu betonen dass die radikalisierten Konservativen nicht mehr politischer Gegner und Konkurrent sind, sondern vielmehr ein politischer Feind, der mit allen bisherigen informellen Regeln bricht. Es scheint dass z.B. die US-Demokrate*innen das in Teilen noch nicht realisiert haben.

Strobl irrt an einer Stelle, wenn sie die Tea-Party als Graswurzelbewegung bezeichnet (Seite 33). In Wahrheit trifft es die Bezeichnung „Astroturf-Bewegung“ eher.
Der Analogie zu Weimar und der so genannten „Konservativen Revolution“ als Variante von radikalisierten Konservatismus (Seite 143) würde der Rezensent ebenfalls nicht zustimmen. Die „Konservative Revolution“ war schon immer eine Variante des genuinen Faschismus.
Anzumerken wäre noch dass, wenn die radikalisierten Konservativen nicht stark genug sind, sie zum Rechtspopulismus überlaufen. Das erklärt die vielen Rechtskonservativen aus der Union, die zur AfD gewechselt sind.

Das Buch ist eine hervorragende Analyse des verrohten und machtgierigen Konservatismus, die vieles erklärt.
Politisch interessierte Menschen sollten es unbedingt lesen!

Natascha Strobl: Radikalisierter Konservatismus. Eine Analyse, Berlin 6. Auflage 2021.

Veröffentlicht unter Allgemein | Kommentare deaktiviert für Buchkritik „Radikalisierter Konservatismus“ von Natascha Strobl

Buchkritik „Proleten, Pöbel, Parasiten“ von Christian Baron

Das Buch „Proleten, Pöbel, Parasiten: Warum die Linken die Arbeiter verachten“ von Christian Baron erschien 2016. Dem Autor geht es in seinem Buch darum, wie die akademische Linke mit der Arbeiter*innenklasse und Deklassierten umgeht: „Wie und warum Linke dazu beitragen, dass der gesellschaftliche Klassenhass gegen materielle Arme und von bürgerlicher Bildung fern Gehaltene sich reproduziert, das will in diesem Buch zeigen.“ (Seite 12)
Der Autor ist selber Arbeiter-Kind und berichtet vom Aufwachsen in einer verschimmelten Wohnung mit einem gewalttätigen Vater. Ihm selber gelingt, auch durch die Unterstützung von Lehrern, der Aufstieg bzw. um es in seinen Worten wiederzugeben, der „Weg vom Unterschichtskind zum Soziologie-Doktoranden“ (Seite 63).
Er selber bezichtigt sich auch des ‚Klassenverrats“, weil er für diesen Aufstieg seine Herkunft verleugnen musste.
Der Autor wird Linker, allerdings ist sein Motiv ein anderes als sein akademisch-bürgerlichen Mitstreiter*innen, wie er zumindest glaubt: „Mein Linkssein ist in erster Linie biografisch bedingt und damit interessengeleitet – ganz im Gegensatz zu den meisten anderen Aktivisten, die ihr Opponieren gegen die herrschenden Zustände mit einer ethisch moralischen Empörung begründen.“ (Seite 48)
Möglicherweise sind aber mehr Menschen auch aus persönlichen Gründen links geworden, als Baron glaubt, etwa Frauen*, die linke Feministinnen wurden, und die das ebenfalls aus eigenen Erfahrungen heraus wurden. Viele Menschen kommen auch zur Linken, weil sie in dieser Gesellschaft irgendwie nicht ‚funktionieren‘ und ziemliche Außenseiter*innen sind.

Barons Buch behandelt also das Thema Klassismus von links und urteilt hart: „Meine linken Politikfreunde führten einen Klassenkampf gegen mich, ohne es überhaupt zu bemerken, denn sie kannten meine Lebenswelt nicht und begriffen ihre eigene Wirklichkeit als die einzig existente Normalität.“ (Seite 75)
Er sieht allerdings ganz allgemein einen Anstieg von Klassismus oder Klassenhass, verursacht durch die ökonomische Zuspitzung: „In Zeiten allseitiger Prekarität, in denen fast jeder binnen kurzer Zeit vom unbefristeten Job in die sichere Armut rutschen kann, richtet sich von allen Seiten ein massiver Klassenhass gegen jene, die noch schwächer sind als man selbst.“ (Seite 15)
Im Buch wird auch auf die sich fortsetzende Chancenungleichheit im Bildungssektor hingewiesen: „Statistisch gesehen bekommt das Kind eines Arztes oder Juristen fünfmal öfter eine Gymnasialempfehlung als ein Facharbeiterkind. Schüler aus gebildeten Elternhäusern legen siebenmal häufiger das Abitur an einem Gymnasium ab als Arbeiterkinder.“ (Seite 43)

Besonders in der ersten Hälfte seines Buches spricht Baron wichtige Punkte an, etwa wenn er über die klassistische Dialektfeindlichkeit in linksakademischen Kreisen schreibt. Oder das Studis als freiwillige kostenlose Praktikant*innen, getragen von der Unterstützung ihres Elternhauses, Anderen Konkurrenz machen, die es sich nicht leisten können kostenlose Praktika zu absolvieren.

Seine Kritik an einer Identitätspolitik jenseits von Klassenanalysen ist sicherlich richtig, allerdings fokussiert er an manchen Stellen stark auf die seltsamsten Auswüchse.

Spannend ist sein Verweis auf das folgenlose Unterschichtenbashing, auch in der Populärkultur. Etwa im Kassenschlager „Fack Ju Göhte“ oder in der ZDF Neo – Sitcom „Blockbustaz“. Oder in der Werbung der Biermarke „Astra“. Hier moniert Baron zu Recht dass die sexistischen Werbe-Plakate von Astra eine linke Gegenkampagne hervorgerufen hätte, man aber zum Unterschichtenbashing „kein Mucks“ aus dieser Ecke gehört habe.

Kritikritik
Das Buch wird in der zweiten Hälfte eine allgemeinpolitische Abrechnung. Diese ist in einigen Fällen nicht überzeugend. An dieser Stelle mal ein wenig Widerspruch zu seinen Pauschalverurteilungen:
* So verunglimpft er pauschal die Proteste gegen Studiengebühren als die Verteidigung bildungsbürgerlicher Privilegien. Das wird der Realität dieser Proteste oft nicht gerecht, auch wenn es mancherorts diese Tendenz sicherlich gab. Schon interessanter ist da sein Vorschlag einer Akademikersteuer.
* Er stellt die (akademische) Linke generell als Vertreter*innen einer protestantischen Leistungsethik dar. „Familie? Freunde? Kino? Theater? Sommerurlaub? Kinder? Für Linke in diesem Land der protestantischen Arbeitsethik sind das Fremdworte.“ (Seite 104)
Keine Ahnung, in welchen linken Kreisen Baron sich bewegt. Aber in der außerparlamentarischen Linken sind durchaus auch viel Drogen- und Party-Eskapismus anzutreffen und das Plenum am nächsten Tag ist dann umso spärlicher besetzt.
Hier wäre es wichtig nach dem Kontext von Arbeit zu schauen und zwischen Polit-, Erwerbs- und Care-Arbeit in der Bewertung zu trennen.
* Baron versteigt zu der seltsamen Analogie das Jungen-Beschneidung wie die Amputation eines Fingers wäre. Das ist Unsinn. Man mag das Thema kritisch sehen, aber eine Vorhaut-Beschneidung ist keine Glied-Amputation.
* Baron behauptet ebenfalls: „Leider hat die Linke die Religionskritik den Rechten hinterlassen.“ (Seite 135)
Sicherlich, lässt die Linke an einigen Stellen eine religionskritische Position vermissen, aber sie wird dabei nicht von rechter Seite ersetzt. Denn was von dieser Seite kommt, ist zumeist nur der mühsam bemäntelte kulturelle Rassismus.
* Der Autor übt auch Kritik an der linken Kritik an den nach rechts offenen Montagsdemo-Mahnwachen 2014/15 (Seite 125). In der klügeren Kritik von links an diesem Phänomen ging es jedoch weniger um die rechte Beteiligung an den rechts-offenen Demos als an den Inhalten, die diese Beteiligung erst hervor riefen.
* Ähnlich daneben liegt Baron mit seiner Kritik an der antinationalen Kritik des Fußball-Patriotismus zur Männer-WM/-EM geht. Die linke Kritik daran ist differenzierter als Baron es haben will. Es wurde vor allem der nationalistische Grundton und die Gefahr des nationalistischen Eskalation kritisiert. Er schreibt: „Eine WM oder EM im Fußball bietet also seit einigen Jahren nicht nur den Liebhabern des Sports angenehme Feierabende vor dem Fernseher, sondern liefert auch Beispiele des zentralen Problems zwischen den Linken und der Masse in Deutschland: Die kulturellen Differenzen bedingen Missverständnisse zwischen Akademikern und Nicht-Akademikern.“ (Seite 145)
Den Sexismus und die Homophobie der Männer-WM und -EM lässt Baron in diesem Buch-Abschnitt galant unter den Tisch fallen. Es hat einen Grund, warum sich im aktiven Profi-Fußball in Deutschland bisher kein einziger aktiver Spieler geoutet hat.
Was der Autor verkennt oder ignoriert ist das nationalistische Eskalations-Potenzial des Fußball-Patriotismus. Wer die deutsche Mannschaft nicht abfeuert, aber als Deutscher gilt, wird scheel angeschaut. Wenn dann die deutsche Mannschaft verliert und man sich darüber freut oder das andere Team angefeuert hat, für die oder den ist es schnell vorbei mit der Party.
Dabei ist der Fußball-Patriotismus zu WM- und EM-Zeiten auch gar keine Sache der Klassenzugehörigkeit. In den Universitätsstädten ist es bei den Studentenverbindungen genauso üblich die Spiele gemeinsam in der Verbindungsvilla anzuschauen wie in eher proletarischen Sport-Bars. Es ist eher so dass der Jubel-Patriotismus reale Klassenunterschiede verdeckt, weil ja alle Deutschland sind, egal ob Erwerbslose oder Manager.
* Er macht die Mittelschichts-Ultras verantwortlich für Probleme im Stadion, vergisst aber die meist eher proletarischen Hooligans zu erwähnen.
* Seine Kritik an Konsum-Moralist*innen ist sicherlich nicht unberechtigt, aber rutscht etwas arg ins Polemische ab, etwa, wenn er von einer Mitbewohnerin als „Bio-Diktatorin“ schreibt.
* Oft hat man den Eindruck Baron hat sich in seiner Wut gar nicht mehr die Mühe gemacht zu differenzieren. Etwa, wenn er die Praxis des „Containern“, d.h. der Bergung von abgelaufenen Lebensmittel als „Happening“ (Seite 200) bezeichnet, was nur der linken Identitätsstiftung gelte. Einige der linken Menschen, die containern, die ich kenne, machen das nicht aus Jux, sondern tatsächlich, weil sie nicht so viel Geld haben.
* Seine Kritik an Rucksackreisenden und Neominimalismus ist nicht weniger undifferenziert.
Persönlich kenne ich exakt zwei linke Minimalistinnen, die dieses Konzept auch nicht als gesellschaftliche Lösung oder eine Art Armuts-Reenactment verstehen, sondern als individuelle Lebensbewältigungsstrategie.

Fazit: zu pauschalisierend
Baron hat sicherlich in vielem Recht, aber er ist oft leider viel zu pauschal und polemisch. Man könnte auch statt von der angeblichen ‚Verachtung‘ der Linken für die Arbeiter*innenklasse eher von einer Ignoranz und Gedankenlosigkeit schreiben.
Besonders im zweiten Teil des Buches nerven die Pauschalisierungen und Schnellurteile. Schade, denn der Autor verbaut sich hier selbst, durch seine Undifferenziertheit die Möglichkeit von seinen Leser*innen in vielen Punkten ernst genommen zu werden. Mehr Kritik, statt Abrechnung wäre hier hilfreich gewesen. Denn was soll man von solche Sätzen halten? „Bessermenschen wirken dadurch [moralische Kritik] auf die Durchsetzungschancen einer Perspektive jenseits des Kapitalismus schädlicher als es Christian Lindner oder Donald Trump zusammengenommen jemals könnten.“ (Seite 167)

Am Ende seines Buchs plädiert Baron für einen linken Populismus ohne inhaltliche Verkürzungen, wie auch immer das funktionieren soll. Denn Populismus muss eigentlich mit Verkürzungen arbeiten. Sinnvoller wäre ein Plädoyer für eine verständlichere Sprache und eine solidarische Praxis gewesen. Wenn Linke mehr für Unter- und Arbeiter*innen-Schicht unterstützend intervenieren würden, z.B. bei Zwangsräumungen oder in Arbeitskämpfen, statt nur herumzutwittern, dann wäre schon mal viel gewonnen.

Das Buch „Die Elenden“ von Anne Mayr hat zwar einen anderen Schwerpunkt, aber eine ähnliche Perspektive. Wenn es einem eher um diese Perspektive geht, sollte man zuerst zu diesem Buch greifen.

Christian Baron: Proleten, Pöbel, Parasiten: Warum die Linken die Arbeiter verachten, 2016.

Veröffentlicht unter Buchkritiken | Kommentare deaktiviert für Buchkritik „Proleten, Pöbel, Parasiten“ von Christian Baron

Buchkritik „Krach“ von Tijan Sila

Das Buch „Krach“ von Tijan Sila ist 2021 erschienen. Es ist die coming-of-age-Geschichte eines Provinzpunks in den berüchtigten Baseballschläger-Jahren. Die Geschichte spielt im Jahr 1998, zu einer Zeit als Handys eine Seltenheit waren, es noch Videotheken gab und manche Gameboys durchsichtig waren. Handlungsort ist die fiktive Kleinstadt Calvusberg in der pfälzischen Provinz. Immer wieder streut der Autor Sätze in pfälzischen Dialekt ein. Wer nicht weiß, was ein „Tschukkekahler“ ist, wird es durch die Lektüre lernen.

Der Hauptprotagonist heißt Sabahudin, wird aber in seiner Familie „Budo“ und von seinen Freund*innen „Gansi“ genannt. Er stammt aus einer bosnischen Familie und ist dass, was man einen ‚Halbstarken‘ nennen könnte. Budo weiß nicht so recht, was er mit sich anfangen soll. Seine Eltern drücken ihm auch noch die Betreuung von Hikmet, eines traumatisierten bosnischen Flüchtling-Jungens aufs Auge – im Buch spielt der 1995 beendete Bosnien-Bürgerkrieg immer wieder eine gewisse Rolle.
Budo schließt sich einer Clique von Provinzpunks an. Mit dem schweigsamen Pirmin und den Geschwistern Beppo und Ursel gründet er die Punkband „PUR JUS“. In Ursel ist Budo verliert und Beppo ist sein bester Freund. Die beiden Punk-Geschwister haben einen Nazi-Bruder namens Uwe. Dessen Gewalttätigkeit spielt im Verlauf der Geschichte immer wieder eine Rolle. Im Buch werden mehrfach Prügeleien geschildert und das in einer saftigen Weise.
So heißt es über ein paar verhauene Gymnasiasten: „Gymnasiastengekreische, als gäbe es im Tengelmann keine Frucht-Tiger mehr.“
(Seite 54)
Oder die Schilderung einer Prügelei zwischen Mannheimer Linken und den Mitglied einer sport-affinen US-Straight-Edge-Hardcore-Band: „Die Mannheimer konnten froh darüber sein, dass die Amis trotz ihrer beeindruckenden Kampftüchtigkeit nicht blutrünstig waren und aufhörten zuzuschlagen, sobald sie ihren Freund in Sicherheit gebracht hatten. Wären sie nur ein wenig wie Uwe gewesen, hätten sie das Haus ausgeräumt, statt sich von ein paar Soziologiestudenten, deren Augen nach Nasentreffern voller Pipi waren, vorfaseln zu lassen, violent däncing wäre ein Ausdruck »androzentrischer Körperpolitik«, was auch immer das bedeutete.“
(Seite 78)

Viele Buch-Abschnitte handeln von den Band-Auftritten auswärts. Dabei beschreibt Sila in amüsanter Weise die Auftritts-Orte: […] kein Konzert, aber immerhin Essen und Räumlichkeiten, bei denen man nicht an verlassene Gefängnisse der Sowjetunion dachte.“
(Seite 46)
Besonders unterhaltsam sind die Stadt-Charakterisierungen, in denen auch über schmucke Städte wie Freiburg, Heidelberg oder Münster hergefallen wird.
„Freiburg war eins dieser unbombardierten Universitätsstädtchen, die nur von Studenten und Bonzen bevölkert wurden. Alles daran war zum Hassen, so auch das JUZ, in dem wir auftreten sollten. Es war eh cooler, in besetzten Häusern oder AZs zu spielen.“
(Seite 107)
„Manche Städte haben nette Ecken, Münster ist die zur Stadt gewordene nette Ecke – richtig ekelhaft. Dementsprechend war das AZ nicht die übliche Stunkdrüse mit braun verkrusteten Kloschüsseln, sondern ein vom Rathaus gestellter »Kulturraum« aus den Siebzigern: Ziegelwände, Balkendecken, Bühne, alles.“
(Seite 238)

Viele der Buch-Protagonist*innen haben eine Migrationsgeschichte oder entstammen einer Minderheit: Sinti, Russlanddeutsche, Bosniaken, Italiener und die als „Watkes“ geschmähten französischen Nachbarn.

Das Buch enthält schöne Sätze wie diese beiden:
„Pirmin war der Zuckerwürfel, den sie in geschlossener Hand vor Regen schützte.“
(Seite 185)
„Man roch den Erlebnisdrang wie heißen Pudding.“
(Seite 189)

Der Roman liest sich gut und flott. Es ist die authentische Geschichte vom Aufwachsen als Punk in der Provinz Ende der 1990er Jahre.
Sehr geeignet als Sommer-Lektüre. Auch für Menschen ohne Punk-Lebensabschnitt.

Tijan Sila: Krach, Köln 2021.

Veröffentlicht unter Buchkritiken | Kommentare deaktiviert für Buchkritik „Krach“ von Tijan Sila

Buchkritik „Doppelte Spur“ von Ilija Trojanow

Ilija Trojanow beschreibt mittels einer fiktiven Geschichte in seinem Roman „Doppelte Spur“ die Realität.
Sein Hauptprotagonist und Alter Ego ist der Journalist Ilija. Dieser wird von einer Whistleblowerin kontaktiert, die sich „DeepFBI“ nennt. Sie gibt ihm eine Menge an digitalen Akten des FBI, die als „streng geheim“ klassifiziert sind. Gleichzeitig kontaktiert ein Agent des russischen Geheimdienst SWR Ilija und gibt ihm ebenfalls geheime Akten.
Erst allein und später zusammen mit zwei Mitstreitern schlägt Ilija eine Schneise der Aufklärung durch das Dickicht an Informationen.
Es entsteht ein Gesamtbild. Der als „Schiefer Turm“ bezeichnete US-Präsident ist ein vormaliger Casino-Betreiber mit Kontakten zur russischen Mafia, der erpressbar ist. Nicht gesteuert, aber angeleitet wird er vom russischen Präsidenten Mikhail Iwanowitsch und dessen Oligarchen-Freunden, die alle dem KGB entstammen. Laut dem Journalisten Ilija hat der KGB 600 Milliarden Dollar außer der zerbröckelnden UdSSR geschafft.
Sehr kundig beschreibt Trojanow die Raubzüge der Privatisierung in der Ex-Sowjetunion und die daraus resultiernde Oligarchisierung. Am Anfang stand dabei eine naive Hoffnung breiter Bevölkerungsschichten auf die Verheißungen des Kapitalismus:
„Die Aufbruchstimmung trug Wollmützen und löchrige Schuhe, die Kälte drang aus dem Permafrost der Vergangenheit in die Körper, der Kopf wurde mit Hoffnungen geheizt, die Gliedmaßen fröstelten.“ (Seite 64)
Doch bald stellt sich Ernüchterung ein. Es entspinnt sich ein weltweites kriminelles Netz, was zum teil in einem Turm des Präsidenten in Manhattan wohnt. Jedenfalls weist dieser laut FBI-Ermittlungen eine bemerkenswerte Dichte an Kriminellen und Korrupten auf.
Ilija zur Seite stehen der Podcaster und Sachbuchautor Boris und die Dokumentarfilmerin Emi, die zu dem Zwangs-Prostitutions-Netzwerk von Geoffrey Wasserstein recherchiert, der sich und Prominenten mit jungen und teilweise minderjährigen Frauen/Mädchen „versorgte“, also ihren Missbrauch organisiert.
Boris resümiert ernüchtert über die vermeintliche ‚Gleichheit vor dem Gesetz‘:
„Der Rechtsstaat ist ein Ansporn, möglichst viel zu stehlen, denn mit dem gestohlenen Geld kannst du dir die besten, also die am besten vernetzten Anwälte leisten, die jedes Schlupfloch kennen, , jede Verdunklungsstrategie. Je mehr du raffst, desto besser kannst du deine Pfründe verteidigen. Der Rechtsstaat ist ein Beuteverteidigungssystem.“ (Seite 99-100)
Im Gegensatz zu den realen Verschwörungen wird „Pizzagate“ im Buch als Nebelkerze des FBI beschrieben.
Ilija zeichnet mit den beiden Anderen ein weltweites System nach. Doch er will auch wissen, was die beiden Whistleblower für Motive haben, da er an deren Uneigennützigkeit stark zweifelt. Also versucht er den beiden auf die Spur zu kommen und kommt zu beunruhigenden Erkenntnissen.

Die Analogien dieser Roman-Fiktion zur Realität sind natürlich augenfällig. Es handelt sich sozusagen um eine ‚fiction light‘. Der US-Präsident mit dem Spitznamen „Schiefer Turm“ ist Donald Trump, Mikhail Iwanowitsch ist Wladimir Putin und Geoffrey Wasserstein ist Harvey Eppstein. Der Turm in Manhattan ist demzufolge der ‚Trump Tower‘.
Das Buch aktiviert die Neugierde was jetzt in Realität zutrifft und was nicht.
Ansonsten ist das flott und lesbar geschrieben.

Ilija Trojanow: Doppelte Spur, Frankfurt/Main Juli 2020.

Veröffentlicht unter Buchkritiken | Kommentare deaktiviert für Buchkritik „Doppelte Spur“ von Ilija Trojanow

Buchkritik „Schnee“ von Orhan Pamuk


Im Jahr 2002 veröffentlichte der türkische Autor Orhan Pamuk seinen Roman „Schnee“. Vier Jahre später bekam er den Nobelpreis verliehen.
In dem Buch besucht der 42-jährige Dichter Ka die Stadz Kars in Ostanatolien. Ka entstammt einer wohlhabenden Istanbuler Familie und kehrt nach 12 Jahren im Exil in Deutschland in die Türkei zurück.
In Kars soll er für eine Zeitung über eine Serie von Selbstmorden unter jungen Frauen schreiben, die sich Selbstmord begingen, weil sie gezwungen wurden in der Universität das Kopftuch abzulegen.
Schnell stellt sich heraus das die jungen Frauen zwar islamistisch waren, aber auch unter den extrem patriarchalen Verhältnissen in ihren Familien litten. Das Kopftuch-Tragen war für tatsächlich sie eher eine Form von Selbstständigkeit.
Die Stadt Kars ist eine Grenzstadt und war 1877-1918 russisch. Im Buch werden die architektonischen Hinterlassenschaften Russlands ebenso beschrieben wie die der vertriebenen und ermordeten Armenier der Stadt. Damit rüttelt Pamuk an den Tabu des Völkermords an den Armenier*innen in der türkischen Gesellschaft.
Die Stadt ist nicht nur abgeschieden, sie wird durch heftigen Schneefall vollkommen abgeschnitten.
Im von der Außenwelt abgeschnittenen Kars kommt es zu einem kemalistischen Militärputsch, angeleitet durch einen Schauspieler, der sich mit einem Offizier verbündet hat. Der Putsch und die darauf folgenden Säuberungen mit hunderten Festnahmen gegen kurdische Nationalisten (PKK) und türkische Islamisten sollen deren bevorstehenden Wahlsieg verhindern. Neben dem Militär ist der „Nationale Nachrichtendienst“ an den Säuberungen beteiligt.
Der Dichter Ka wird in die Ereignisse verstrickt. Ursprünglich ist Ka ein Marxist, der aber schon länger eher unpolitisch geworden ist. In Kars entsteht bei ihm durch Naturbeobachtung eine Art Gottesliebe, weil er im Schnee Allah entdeckt haben will.
Durch seine Verbindungen zu den verschiedenen Parteien wird Ka in die Ereignisse hineingezogen.
Er selber will in Kars seine Jugendfreundin Ipek wieder treffen, die mit ihrem Vater und ihrer Schwester in Kars lebt. Tatsächlich beginnt er mit Ipek eine Affäre und versucht sie zu überreden ihn in sein Exil nach Frankfurt zu begleiten um dort mit ihm zusammen zu leben.
Gleichzeitig schreibt Ka inspiriert von den Ereignissen Gedichte.
Der Aufenthalt Kas in Kars ist kurz und der Militärputsch dauert nur drei Tage, kostet aber 29 Menschen das Leben.
Dieser Aufenthalt von Ka wird aus der Rück-Perspektive von einem Ich-Erzähler namens Orhan, dem Alter Ego des Autors, erzählt. Orhan ist ein Freund des Dichters Ka und versucht den Ereignissen im Jahr 1995 vier Jahre später nachzuspüren.
Zweiter Handlungsort neben Kars ist Frankfurt/Main, wo Ka vereinsamt als Dichter im Exil lebt.

Pamuk schildert in seinem Roman die Zustände in der Türkei anhand der türkisch/kurdischen Grenzstadt Kars wie in einer Schneekugel: Klein, übersichtlich und isoliert. Auch in der Türkei bekämpften sich damals Islamisten und Laizisten bzw. Kemalisten und das Militär putschte in der Angst vor einem Erfolg der Islamisten, die heute die autoritäre Erdogan-Regierung stellen. Auch die Konflikte in der Osttürkei/Westkurdistan werden am Beispiel von Kars dargestellt. Keine der Konflikt-Parteien wird dabei von Pamuk idealisiert oder sympathisch dargestellt.
Die Handlung im Roman ist stellenweise ironisch-humoristisch. So gibt es z.B. eine „Grenzstadtzeitung“ mit einer Auflage von 380 Exemplaren, die häufig schon Berichte über Ereignisse abdruckt, die (noch) gar stattgefunden haben.
Der Roman ist stellenweise sehr melancholisch gehalten, weil sein Hauptprotagonist auch eine Liebesleidgeschichte erlebt und seine Gefühlswetterwechsel ausführlich beschrieben werden. Dadurch bekommt der Roman manchmal unnötige Längen.
Insgesamt ist „Schnee“ ein hurmorvoller literarischer Mikrokosmos der Türkei, der sehr lesenswert ist.

Orhan Pamuk: Schnee, Frankfurt/Main, 5. Auflage Juli 2008.

Veröffentlicht unter Allgemein, Buchkritiken | Kommentare deaktiviert für Buchkritik „Schnee“ von Orhan Pamuk

Neuer Vortrag zu den Anti-Corona-Demos im Angebot

Ich habe jetzt unter dem Titel „Vom Querdenken zur Querfront? Die reaktionären Proteste gegen die Corona-Beschränkungen“ auch einen kritischen Vortrag zu den so genannten Anti-Corona-Demonstrationen im Angebot.

Veröffentlicht unter Allgemein | Kommentare deaktiviert für Neuer Vortrag zu den Anti-Corona-Demos im Angebot

Teidelbaum twittert

Ich twittere jetzt auch:
https://twitter.com/teidelbaum
Ist mal ein Versuch.

Veröffentlicht unter Allgemein | Kommentare deaktiviert für Teidelbaum twittert

Neues Buch zur christlichen Rechten ist raus

Deutschland. Strukturen, Feindbilder, Allianzen“ als Band in der Reihe „unrast transparent | rechter rand Band“.
Die 96 Seiten gibt es für 7,80 Euro unter der ISBN 978-3-89771-142-6

Hier die Beschreibung des Verlags:

„Während mittlerweile täglich über Djihadismus, Islamismus oder gar ›den Islam‹ debattiert wird, liegt der christliche Fundamentalismus in Deutschland weitgehend unterhalb des Radars der öffentlichen Aufmerksamkeit. Das Wissen über die Strukturen und die Agenda der christlichen Rechten ist auch deshalb so gering, weil die beiden großen Kirchen in Deutschland einen starken Binnenpluralismus aufweisen. Die heftigen internen Macht- und Deutungskämpfe – z.B. zwischen Evangelikalen, Protestantischen FundamentalistInnen oder Katholischen Traditionalisten – dürfen über ihre Wirkmächtigkeit aber nicht hinwegtäuschen.

Gefährlich wird der Rechtsklerikalismus vor allem dann, wenn er Bündnisse mit der extremen Rechten eingeht – sei es, weil sie Haltungen teilen (einen rigorosen Konservativismus, Homophobie, althergebrachte Rollenbilder, patriarchale Hierarchien und dergleichen) oder Feindbilder (Humanismus, Feminismus, Liberalismus, Säkularismus – und natürlich den ganzen verhassten »Gender-Gaga«).

Das vorliegende Buch ist eine leicht verständliche, aktuelle Einführung für alle, die sich einen schnellen Überblick über die Stärke, die Einflussmöglichkeiten und die Kampagnenfähigkeit der unterschiedlichen rechtsklerikalen Gruppierungen in Deutschland verschaffen wollen. Für die Lektüre ist keinerlei theologisches Vorwissen nötig, das reaktionäre Weltbild der christlichen Rechten ist simpel gestrickt.“

Veröffentlicht unter Allgemein | Kommentare deaktiviert für Neues Buch zur christlichen Rechten ist raus

Danksagung im Dresdner Burschireader „Ausgefuxt“

„Ausgefuxt ist eine Publikation des Studierendenrates der TU Dresden, die Informationen und Kritik zu studentischen Verbindungen behandelt. Als Print-Ausgabe wird euch dieser zweiteilige Reader in der StuRa-Baracke kostenlos ausgehändigt – kommt vorbei und holt euch euer Exemplar ab! Hier gibt es die digitale Version von Ausgefuxt.“
(https://www.stura.tu-dresden.de/ausgefuxt)

Veröffentlicht unter Allgemein | Kommentare deaktiviert für Danksagung im Dresdner Burschireader „Ausgefuxt“

Neue Ausgabe von „der rechte Rand“ erschienen – mit drei Fotos und drei Artikeln von mir

Die aktuelle Ausgabe des Antifa-Magazins „der rechte Rand“ Nr. 167 / 2017 beinhaltet drei Artikel und auch drei Fotos von mir.
Auf den Seiten 12 und 13 geht es um die AfD als „Partei des Militarismus“, auf Seite 21 geht es über „Die Verbindungen der AfD“ und auf Seite 39 gibt es noch einen Artikel über die AfD in Baden-Württemberg.

Veröffentlicht unter Allgemein | Kommentare deaktiviert für Neue Ausgabe von „der rechte Rand“ erschienen – mit drei Fotos und drei Artikeln von mir