Das 150-seitige Buch „Radikalisierter Konservatismus. Eine Analyse“ von Natascha Strobl erschien 2021 und wurde bereits viel gelobt – zu Recht. In ihrem Werk skizziert Strobl eine bedenkliche Entwicklung im Konservatismus in Richtung Autoritarismus und Rechtspopulismus. Konservatismus definiert sie dabei wie folgt:
„Kurz gefasst, verstehen wir unter Konservatismus also eine antiegalitäre, antirevolutionäre, klassenharmonisierende Haltung, deren höchste Werte Ordnung und Eigentum sind.“
(Seite 12)
Dabei macht die Autorin den Unterschied vom radikalisierten Konservatismus zum Faschismus im revolutionären Charakter des Faschismus fest:
„Konservatismus ist eine Herrschaftsideologie zur Absicherung bestehender (Besitz-)Verhältnisse. Faschismus ist eine Ideologie, die – durch einen (gewissen) Austausch der Machteliten – die bestehende politische Ordnung überwinden möchte.“
(Seite 17)
Dasselbe gilt auch für den modernisierten Neofaschismus, den Rechtsextremismus:
„Im Gegensatz zum klassischen Konservatismus streben rechtsextreme Parteien eine schnelle und umfassende Transformation der Gesellschaft an. Konservative Parteien dagegen möchten den Status quo aufrechterhalten bzw. nur behutsam ändern.“
(Seiten 30)
Der neue, radikalisierte Konservatismus verlässt laut Strobl seine alten Gleise:
„Radikalisierter Konservatismus ist zugleich Bruch und Kontinuität der Entwicklungen davor. Die konservative Partei kündigt einseitig den (prekären) Konsens mit der linkeren staatstragenden Partei – der (historisch) organisierten Arbeiter:innenbewegung – auf.“
(Seite 33)
Die Radikalisierung von Teilen des Konservatismus setzt Strobl 2008 an. Als Beispiele führt sie so unterschiedliche Politiker wie Robert Kurz (ÖVP), Donald Trump (Republikaner) oder Boris Johnson (Conservative Party) an. Ihr gelingt es dabei überzeugend die Gemeinsamkeiten aufzuzeigen. Wichtig sei ein ökonomischer Nationalismus, wie oft auch ein Anti-Urbanismus, der sich gegen die Hauptstadt richtet.
Der radikalisierte Konservatismus stellt aber eher einen Stil als eine gefestigte Ideologie dar.
Der neue Stil des radikalisierten Konservatismus ist rechtspopulistisch:
„Es geht nicht mehr darum, ein detailliertes Programm auszuarbeiten und möglichst überzeugend zu vertreten. Es geht darum, ein neues Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. In Zeiten der gesellschaftlichen und ökonomischen Verwerfungen ist das kein defensives und statisches, sondern ein aggressives und dynamisches Gefühl. Das Versprechen, dem ihm zugrunde liegenden Bedürfnis Geltung zu verschaffen, ist der ideologische Kern des radikalisierten Konservatismus.“
(Seite 37)
Damit nähert er sich dem Rechtsextremismus an:
„Radikalisierter Konservatismus übernimmt die Strategien und Sprachen des Rechtspopulismus bzw. des parteiförmigen und außerparlamentarischen modernen Rechtsextremismus. Er setzt dabei auf Polarisierung statt auf Konsens und möchte das bestehende politische System zu seinen Gunsten umzugestalten.“
(Seite 39)
In Ländern wie Ungarn hat er sogar den Rechtsextremismus verdrängt und dessen Rolle eingenommen.
Auch innerparteilich wird es autoritärer, denn die konservative Partei wird auf die Führungsposition ausgerichtet (Strobl: „Von der Staatspartei zur Leaderpartei“).
Man befindet sich Dauerwahlkampf, wirft die „Aufregerproduktionsmaschine“ an und erschafft Gegenrealitäten. Man befände sich im „Rausch der ständigen Offensive“ (Seite 130) und richtet sich paradoxerweise gegen das als links markierte Establishment aus:
„Dabei entsteht das Paradoxon einer konservativen Partei, die sich als Kämpferin gegen das alte System geriert und doch auch die Glaubwürdigkeit ihrer jahrzehntelangen Rolle als staatstragender Partei ausnutzt.“
(Seite 90)
Strobl geht auch auf Gegenstrategien ein und meint dass eine moralisierte Kritik nicht helfen würde.
Vielleicht wäre es wichtig zu betonen dass die radikalisierten Konservativen nicht mehr politischer Gegner und Konkurrent sind, sondern vielmehr ein politischer Feind, der mit allen bisherigen informellen Regeln bricht. Es scheint dass z.B. die US-Demokrate*innen das in Teilen noch nicht realisiert haben.
Strobl irrt an einer Stelle, wenn sie die Tea-Party als Graswurzelbewegung bezeichnet (Seite 33). In Wahrheit trifft es die Bezeichnung „Astroturf-Bewegung“ eher.
Der Analogie zu Weimar und der so genannten „Konservativen Revolution“ als Variante von radikalisierten Konservatismus (Seite 143) würde der Rezensent ebenfalls nicht zustimmen. Die „Konservative Revolution“ war schon immer eine Variante des genuinen Faschismus.
Anzumerken wäre noch dass, wenn die radikalisierten Konservativen nicht stark genug sind, sie zum Rechtspopulismus überlaufen. Das erklärt die vielen Rechtskonservativen aus der Union, die zur AfD gewechselt sind.
Das Buch ist eine hervorragende Analyse des verrohten und machtgierigen Konservatismus, die vieles erklärt.
Politisch interessierte Menschen sollten es unbedingt lesen!
Natascha Strobl: Radikalisierter Konservatismus. Eine Analyse, Berlin 6. Auflage 2021.